Insel hinter dem Regenbogen (German Edition)
Einige Männer beneideten ihn, andere hielten ihn für verrückt. Gloria war eines dieser Mädchen, die auf die beste Gelegenheit warteten und nur ihren Vorteil im Blick hatten. Clyde war gut aussehend und klug, aber er war ganz sicher für niemanden das ‘Beste’. Er war zu schwierig, und er trank zu viel.“
„Also war auch der Alkohol schuld.“
„Ja, er war eine Schnapsdrossel. Er hatte sich allerdings meistens im Griff, also merkte man ihm kaum etwas an. Aber eines Tages erwischt es einen, und man geht zugrunde.“
„Seine Frau hat ihn für tot erklären lassen“, sagte Wanda. „Wusstest du das?“
„Ich glaube, ich habe damals mal gehört, dass hier Leute herumgeschnüffelt hätten. Aber das ist alles. Vielleicht war es das.“
„Noch etwas?“
„Nein, und das ist die Wahrheit. Ich habe Clydes Namen seit Jahrzehnten nicht mehr gehört.“
„Kannst du mir Glorias Nachnamen buchstabieren?“
„Als wäre er auf meinen Arm tätowiert.“ Er nannte ihn ihr. „Das kleine Mädchen wäre jetzt … wie alt? Um die sechzig?“, fragte Ralph.
„So ungefähr.“
„Vielleicht sollte sie einfach weiterhin in dem Glauben gelassen werden, dass ihr Vater vor all den Jahren gestorben ist.“
„Und vielleicht wüsste sie gern die Wahrheit, damit sie ihn endlich wirklich loslassen kann.“
„Ich bin froh, dass das dein Problem ist und nicht meins.“
„Ralph … Studley …“ Sie lächelte. „Wir sind fertig. Ich habe dich nicht gesehen, und du hast mich nicht gesehen.“
„Ich habe immer gewusst, dass du keine fünfundzwanzig mehr bist.“
„Und ich habe immer gewusst, dass du ein gut aussehender Teufelskerl bist. An der Stimme eines Mannes kann man vieles erkennen.“
Und tatsächlich lächelte Ralph.
Janya war müde, aber freudig erregt, als sie endlich vor ihrem Haus parkte. Auto zu fahren kam ihr allmählich ganz normal vor, und hinter dem Steuer fühlte sie sich immer wohler. Später würde sie rückwärts die Auffahrt hinunter- und in die Stadt fahren, um Rishi abzuholen und ihn dann stolz nach Hause zu bringen. In der Zwischenzeit wollte sie ein paar Minuten in der India Post lesen, die am Vortag in der Post gewesen war. Im Internet waren die Nachrichten zwar aktueller, doch es ging nichts über das Gefühl, eine echte Zeitung aus ihrem eigenen Heimatland in den Händen zu halten.
Ihr fiel der Wagen, der ihrem Haus gegenüber geparkt war, nicht auf, bis sie ins Haus gehen wollte. In dem Moment ging die Fahrertür auf, und jemand rief ihren Namen.
„Janya …“
Überrascht drehte sie sich um. Der Mann, der aus dem Auto gestiegen war und nun durch den Garten kam, war ihr vertraut.
Sehr vertraut.
Sie blieb stehen, und auch ihr Herz schien einen Schlag lang auszusetzen. Ihre Arme und Beine fühlten sich unnatürlich leicht an.
„Darshan?“
„Du bist es. Du bist es wirklich.“ Er ging schneller und stand im nächsten Moment vor ihr. Er berührte sie nicht, doch er war ihr nahe. Und sie glaubte zu spüren, wie er sie fast magisch anzog.
„Was machst du hier?“ Ihre Worte klangen erstickt, unsicher.
„Ich musste dich sehen.“
Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Sie hatte Angst, sein Gesicht zu betrachten, und noch mehr Angst, es nicht zu tun. Als sie die Augen hob, erkannte sie, dass er noch immer so aussah wie damals, noch immer hochgewachsen und mit breiten Schultern. Als Künstlerin hatte sie seine Gesichtszüge so oft studiert. Sie hatte verstehen wollen, was ihn so hübsch, so anziehend machte. Anziehend nicht nur für sie, sondern für jede Frau, die ihn sah.
Sie war sich noch immer nicht sicher. Er hatte eine kräftige Nase, ein Grübchen im Kinn, hohe Wangenknochen. Seine Augen waren mandelförmig, aber groß und umrahmt von dichten Wimpern. Sein Haar war voll und glänzend. Für sich genommen waren seine Züge attraktiv, aber nicht überwältigend. Dennoch wirkte alles zusammen vollkommen harmonisch. Wäre er Sohn einer anderen Familie gewesen, wäre er unter Umständen Teil der aufblühenden indischen Filmindustrie geworden. Er hätte nur dieses einschmeichelnde Lächeln aufzusetzen brauchen, mit dem er alle einwickelte, und jede Frau im Kino hätte sich augenblicklich in ihn verliebt.
„Ich habe versucht, dir Bescheid zu geben, dass ich komme“, sagte er. „Aber du hast nicht auf meine E-Mails reagiert.“
„Ich habe sie nicht gelesen.“
„Du konntest es nicht ertragen, sie zu öffnen?“
„Ich wusste nicht, wozu.“ Sie war froh, dass
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