Insel hinter dem Regenbogen (German Edition)
gesagt hatten, dass sie es sich anders überlegt hätten, kam der Vater aus dem Haus, und alle Reifen seines Wagens waren zerstochen. Regelrecht zerfetzt. Und außerdem hatte jemand den Lack zerkratzt. Es waren allerdings nicht nur ein paar Kratzer, sondern massive Beschädigungen. Tiefe Rillen, wie sie nur jemand macht, der einen richtigen Hass auf den Besitzer hat. Der Vater wandte sich an mich. Natürlich habe ich ihm versichert, dass es nicht Lee gewesen sein könne. Aber inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher. Ich weiß, dass er unehrlich ist. Ich weiß, dass er Wutausbrüche hat. Leider habe ich beides unmittelbar miterlebt. Nur so viel: Seit ich ihn gefeuert habe, parke ich mein Auto in meiner Garage, und meine Nachbarn haben ein Auge auf mein Haus.“
„Gefeuert?“
„Mehr kann ich dazu nicht sagen.“
Sie hatte schon genug gesagt. Tracys Magen hatte sich beinahe schmerzhaft zusammengezogen. Also hatte Janya sich bezüglich ihrer Terrasse nicht geirrt. Und was war mit Alices Tischdecke? Die Decke, die sie angeblich aufgerippelt hatte – woran sie sich aber nicht erinnern konnte?
Weil sie sie nicht selbst zerstört hatte. Lee hatte es getan. Vielleicht war er nach Hause gekommen und hatte festgestellt, dass Alice und Olivia mit den anderen Frauen bei Janya waren. Wie leicht wäre es gewesen, das Tischtuch zu zerstören und dann zu behaupten, Alice selbst hätte es getan.
Sie bedankte sich bei Maribel und legte auf. Dann ging sie ans Fenster und blickte hinaus auf die Straße. Jetzt war sie noch begieriger darauf, die Kamera in Alices Haus zu verstecken. Würde Lee damit warten, wegzufahren, bis das Wetter schlecht genug war, um neugierige Nachbarn an einem Besuch bei Alice zu hindern?
Sie konnte Alices Auffahrt von ihrem Fenster aus nicht einblicken. Doch sie fragte sich, ob Lee den aufziehenden Sturm nutzen würde, um unbemerkt ein bisschen hinauszukommen?
Um unbemerkt mit seinem brandneuen Wagen wegzufahren. Was war eigentlich damit? Woher stammte das Geld für den teuren Infiniti? Sie fürchtete, dass sie eine Ahnung hatte.
Wieder klingelte ihr Telefon. An diesem Tag hatte sie schon mehr Anrufe erhalten als sonst in einer Woche. Janyas melodische Stimme erklang.
„Er ist gerade weggefahren.“
Tracy spürte, wie sich jeder Muskel in ihrem Körper anspannte. „Sag Wanda Bescheid, ja? Ich gehe jetzt rüber. Hat er Olivia mitgenommen?“
„Es ist so dunkel, dass ich es nicht erkennen konnte.“
„Halt einfach die Augen offen. Und drück mir die Daumen.“
Tracy legte auf. Fünfzehn Sekunden. Sie musste die Tür aufschließen und den richtigen Duftstecker gegen den falschen austauschen; dann die Vordertür wieder abschließen und durch die Hintertür verschwinden. Der letzte Besuch im Haus war ein Übungslauf gewesen, und diesmal würde es noch schneller gehen, weil sie nicht nach Alice sehen würde. Sie würde einfach reingehen und wieder verschwinden.
Ja, klar.
Selbstverständlich würde sie noch nach Alice sehen.
Sie zog sich eine wasserdichte Jacke über und schob die Kamera in die Tasche ihrer Shorts. Dann prüfte sie, ob ihre Tennisschuhe zugeschnürt waren und ob sie den Schlüsselbund mit Alices Haustürschlüssel hatte. Schließlich ließ sie ihre eigene Haustür offen und rannte los.
Die Straße war vollkommen menschenleer, doch der Sturm war inzwischen näher gekommen. Die Wetterexperten hatten befürchtet, dass er sich zu einem Hurrikan entwickeln könnte, doch der Wind war unterwegs ein bisschen abgeflaut. Jetzt waren der düstere Himmel genau wie die fehlenden Straßenlaternen ihre Verbündeten – auch wenn beides ihr gerade ungewöhnlich große Angst machte. Sie fragte sich, ob Wanda Ken anrufen würde. Sie hoffte es. Wenigstens würde er dann wissen, dass etwas im Gange war.
Auf halbem Weg zu Alice fiel Tracy siedend heiß ein, dass Wanda beim Einkaufen war und dass sie den Zettel mit Wandas Handynummer zu Hause auf der Küchenanrichte hatte liegen lassen. Dort war er natürlich wenig hilfreich. Und sie hatte sich so beeilt, loszulaufen, dass sie ihr eigenes Handy nicht mitgenommen hatte. Jetzt konnte sie nicht einmal Janya über das Missgeschick informieren. Sie fluchte unterdrückt.
In Alices Haus war alles dunkel, was seltsam war, da bei allen anderen das Licht an war. Sogar in Herbs Häuschen sorgte eine Zeitschaltuhr dafür, dass die Lampen zu einer bestimmten Zeit angingen – damit sollten Einbrecher und Vandalen abgeschreckt werden. Sie blickte noch einmal
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