Insel hinter dem Regenbogen (German Edition)
war. Im nächsten Moment war sie schon zu sehr damit beschäftigt, die Matratze zu bändigen, um länger darüber nachzugrübeln.
5. KAPITEL
W anda liebte traurige Countrysongs. Wenn sie Patsy Cline und George Jones hörte, brach sie schon in Tränen aus, bevor die beiden zu ihrer ersten gehauchten Atempause ansetzten. Und wenn Dolly Parton „I will always love you“ sang, dann kullerten Wanda nicht nur vereinzelte Tränen über die Wangen, dann weinte sie richtig.
Wanda suchte auf der Küchenanrichte nach einem Geschirrhandtuch, nahm ihre Brille ab und tupfte sich die Augen trocken, ehe sie ihren Lieblingsradiosender ausschaltete. Sie fühlte sich, als hätte man sie ausgewrungen. Vielleicht hatte Whitney Houston es mit Dollys Song an die Spitze der Charts gebracht, aber eigentlich hätte das nicht passieren dürfen. Wanda mochte Whitney Houston – obwohl sie sich über ihren Exmann gewundert hatte –, doch niemand sollte einen von Dollys Songs singen dürfen. Das war ungefähr genau so, als wollte einer der Straßenmaler an der Strandpromenade versuchen, die Mona Lisa zu malen.
Wanda war alles andere als perfekt, aber ein Alkoholproblem hatte sie nie gehabt. Sie trank nie etwas, wenn sie das Gefühl hatte, trinken zu müssen. Das war der Schlüssel, und sie hatte vielen ihrer Kunden diesen Ratschlag gegeben, auch wenn die meisten von ihnen ihren Rat ignoriert hatten. Jetzt trat sie an den alten Kühlschrank, der in dem Häuschen gestanden hatte, und sah nach, ob Ken ihr ein Corona übrig gelassen hatte. Sie fand ein paar Biere im hinteren Teil des Kühlschranks, machte eines auf und trank direkt aus der Flasche.
Die Deloche hatte sich vor ein paar Minuten hier entlanggeschleppt, müde und schmutzig. Oder zumindest so schmutzig, wie eine so umwerfende Frau wie sie aussehen konnte. Mit der Matratze zu kämpfen? Das war sicherlich ein ziemlicher Knochenjob gewesen. Es geschah der Vermieterin nur recht, so wie sie sich in der Küche an Wanda herangeschlichen und sie fast zu Tode erschreckt hatte. Und außerdem: Was schuldete sie Tracy Deloche? In diesem Monat nicht einmal die Miete, solange sie sich nicht um die Liste mit den Reparaturen gekümmert hatte.
Im Übrigen brauchte die junge Frau jemanden, der ihr mal einen Dämpfer verpasste. Immer wenn sie mit Wanda sprach, klang sie wie jemand, der mit einem Begriffsstutzigen redete. Ms Deloche stammte nicht einmal aus Florida, während Wandas Vorfahren schon auf den Keys gewohnt hatten, als Alligatoren und Seminolen die einzigen Nachbarn weit und breit gewesen waren.
Jetzt stand sie an der Spüle, starrte auf die Einfahrt hinaus und trank. Als sie die Flasche halb geleert hatte, machte sie sich nicht länger vor, dass sie sich richtig verhalten hatte. Und diese Selbsterkenntnis verdankte sie allein Dolly. Wer konnte dieser süßen Person lauschen und sich weiter selbst belügen? Vielleicht hatte Wanda gute Gründe, um Tracy Deloche nicht zu mögen, aber ihre Mutter – arm wie sie war – hatte sie nicht dazu erzogen, egoistisch und herzlos zu sein. Wanda hatte gelernt, kranken Nachbarn Eintopf vorbeizubringen, die Blumen zu gießen und die Katze der alten Dame von nebenan zu füttern, wenn sie ihre Tochter in Tennessee besuchte. Wanda wusste, dass man so etwas nicht tat, damit die Leute als Gegenleistung nett zu einem waren. Man machte es, weil gute Menschen es einfach taten.
Sie war nicht immer verbittert und unfreundlich gewesen. Als sie und Ken noch in Doral gewohnt hatten, waren die Leute mit ihren Problemen zu ihr gekommen, weil sie gewusst hatten, dass sie auf sie zählen konnten. Sie hatte immer ein offenes Ohr gehabt und ihre Hilfe angeboten. Die Ehefrauen anderer Polizisten hatten sie um Rat gefragt und ihn manchmal sogar beherzigt.
Was war nur aus ihr geworden?
Tracy Deloche hatte Herb Krause fast nicht gekannt. Zwar war Wanda auch nicht gerade die beste Freundin des alten Mannes gewesen, aber trotzdem hatte sie ihn eindeutig länger gekannt. Sie hatten ein paar Worte gewechselt und sich immer freundlich zugewunken. Sie schuldete ihm etwas für all die Male, die sie ihn nicht zum Essen eingeladen oder ihm einen Teller mit Essen vorbeigebracht hatte, weil sie zu viel gekocht hatte. Sie wusste, dass sie die Richtige war, um bei der Suche nach Herbs Familie zu helfen.
Doch nicht einmal Dolly konnte sie dazu bewegen, den ersten Schritt zu machen. Wer wusste denn, wo das enden würde?
Das Motorgeräusch eines Wagens in der Auffahrt riss sie aus dem
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