Insel hinter dem Regenbogen (German Edition)
erwiderte sie.
Er ging noch immer nicht. Er sah aus, als wollte er noch etwas sagen, doch sie hatte keine Ahnung, was das sein konnte.
„Ist bei der Arbeit etwas passiert?“, erkundigte sie sich.
„Da passiert nie etwas.“
„Ich weiß nicht, warum du so enttäuscht klingst. Sind wir nicht aus genau dem Grund nach Palmetto Grove gezogen?“
„Ich habe dir nur von meinem Tag erzählt.“
„Was willst du mir denn noch sagen?“
„Nichts, Wanda. Ich mache nur Konversation. Du beklagst dich doch immer, dass wir nicht mehr reden.“
„Vielleicht bilde ich mir auch nur ein, dass sich etwas geändert hat. Vielleicht habe ich mich in unserer Ehe schon immer so einsam und schlecht gefühlt wie in den vergangenen zwei Jahren, und ich habe es nur verdrängt.“
Er hatte schon müde ausgesehen, als er hereingekommen war, und dieser Eindruck hatte sich jetzt noch verstärkt. „Ich mache einen Spaziergang.“
„Mach das, Kenny. Ich geh dann schon ins Bett.“
Einen Moment lang stand er noch da, als hätte er noch etwas zu sagen. Und einen Moment lang hatte sie – dumm wie sie war – tatsächlich die Hoffnung, dass es so sein könnte. Drei kleine Worte hätten ihre Ehe wieder in die richtige Bahn lenken können.
Komm mit mir.
Was auch immer sie gesagt hatte – ihre Ehe war gut gewesen. Es war eine Ehe gewesen, die eine Frau sich kaum zu erträumen gewagt hätte. Diese Ehe konnte noch immer gerettet werden – wenn beide es sich wünschten, wenn beide darum kämpften. Doch nachdem sie es so lange so sehr versucht hatte, hatte Wanda einfach keine Kraft mehr. Ken war derjenige, der den nächsten Schritt tun musste.
Er drehte sich um und hatte die Hand schon am Türknauf, ehe er wieder sprach. „Vielleicht sehe ich dich ja morgen früh.“
Sie spürte, wie ihre Schultern herabsanken, aber sie bemühte sich, ruhig und gelassen zu klingen. „Ja, ja. Es geschehen manchmal die unwahrscheinlichsten Dinge.“
Er war bereits eine ganze Weile verschwunden, bevor sie sich zum Telefon begab. Sie machte sich keine Sorgen, dass er in der nächsten Zeit zurückkehren würde. Für gewöhnlich kam er erst, wenn sie fest schlief und ein neuer Tag begonnen hatte. Sie kannte das. Die nächsten Stunden hatte sie für sich allein, bis sie irgendwann ins Bett ging. Doch sie würde die Zeit nicht allein verbringen.
Sie kochte sich einen Becher Kaffee, schnitt ein paar Scheiben des Mokka-Pekannuss-Kuchens ab, von dem sie Ken nicht erzählt hatte – sollte er den Kuchen doch selbst finden, wenn er mal einen Blick in den Kühlschrank warf. Im Schlafzimmer schlüpfte sie in ein pfirsichfarbenes Nachthemd aus Seide mit lächerlich dünnen Satinträgern, die es kaum an Ort und Stelle hielten. Sie liebte es, wie die Seide über ihre Schenkel strich. Der Schnitt des Nachthemdes kaschierte ihre sechsundfünfzig Jahre alten Brüste, die schon leicht hingen. Die beiden waren eben nicht mehr so fest und aufgerichtet wie früher, aber das war egal. Sie waren ganz sicher noch fest und aufgerichtet genug, damit sie sich sexy und weiblich fühlte. Und genau das brauchte sie heute Abend.
Sie ließ ihr Haar hochgesteckt und schminkte sich auch nicht ab, denn sie wollte noch nicht ins Bett. Stattdessen trug sie ein Tablett mit einer Kanne heißen Kaffees, dem Kuchen und Stoffservietten ins Wohnzimmer. Dann legte sie sich ausgestreckt auf das Sofa – wie Kleopatra auf ihrem Schiff, das den Nil entlangglitt. Das Einzige, was ihr für das Bild noch fehlte, war die Natter. Glücklicherweise hatte ihre persönliche Natter für heute das Haus verlassen.
Sie nahm den Telefonhörer auf und wählte eine vertraute Nummer. „Hey, Süßer“, säuselte sie mit tiefer, sanfter Stimme. „Du wirst gerade verführt, denn ich bin ganz allein.“ Sie lauschte einen Moment und nickte dann. „Das wäre klasse. Du weißt, dass es genau das ist, was ich will. Ich liege hier und warte.“
6. KAPITEL
T racy wusste nicht, woher ihr plötzliches Interesse an Muscheln kam. Vermutlich löste ein Umzug nach Florida etwas in einem Menschen aus. So oder so. Entweder lernte ein neuer Bewohner die Kunst von Mutter Natur zu schätzen, wie zum Beispiel ihr Farbenspiel, die feinen Details und selbstverständlich ihren Humor – denn was gab es Lustigeres, als ein Seepferdchen zu beobachten? Oder der neue Bewohner wurde ganz schnell die Muschelschalen leid, die man überall auf unzähligen mit Muscheln beklebten Lampen oder Kerzenhaltern sehen konnte, sodass die
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