Insel hinter dem Regenbogen (German Edition)
unwillkommenen Gedankenfluss – auch wenn das Auto ebenfalls nicht gerade willkommen war. Sie warf einen Blick auf die Uhr über dem Herd. Vielleicht brachte Ken endlich den Mut auf, entweder auszuziehen, sie um die Scheidung zu bitten oder sich wieder wie ein Ehemann zu verhalten. Wahrscheinlicher war jedoch, dass er lediglich ein sauberes Hemd brauchte, bevor er nach der Arbeit hinging, wo auch immer er heutzutage nach der Arbeit eben so hinging. Wenn er seine Sachen selbst gewaschen hatte, standen die Chancen gut, dass er ein sauberes Hemd fand.
Sie wischte gerade die Anrichten ab, als die Tür aufging und er in den kleinen Hauswirtschaftsraum trat, der in die Küche führte. Sie beachtete ihn nicht, bis er neben ihr stand.
„Abend“, sagte er.
„Mit der Zeitangabe liegst du hundertprozentig richtig, so viel ist sicher.“
„Tut mir leid, dass ich es nicht zum Essen geschafft habe.“
„Du musst dich nicht entschuldigen. Ich habe sowieso nichts für dich gekocht. Das wäre die reinste Verschwendung.“
„Ich habe heutzutage mehr Papierkram zu erledigen als bei Metro . Wenn ich keine Überstunden machen würde, dann würde ich niemals fertig werden.“
Ken nannte das Miami-Dade Police Department noch immer Metro. Alle älteren Polizisten machten das. Sie fragte sich, ob er das absichtlich tat, damit er sich an die Anfangszeiten dort erinnern konnte. Die Zeiten, bevor sich für ihn alles verändert hatte.
„Wenn du keine Überstunden machen würdest, dann würdest du dich daran erinnern, dass du verheiratet bist“, entgegnete sie. „Und das können wir natürlich nicht zulassen.“
„Werd nicht gemein, Wanda.“
„Keine Sorge, die Sonne hat schon all meine Energie aufgezehrt.“ Sie spülte ihr Geschirrtuch aus, wrang es aus, als wäre es der Nacken eines gewissen Cops, und hängte es dann zum Trocknen über den Wasserhahn.
„Herb Krause wurde heute Nachmittag tot in seinem Haus gefunden. Die Vermieterin hat ihn entdeckt.“
„Ja. Ich habe es schon aus dem Büro des Sheriffs gehört.“
Sie musterte ihren Ehemann. Er hatte seine Uniform schon ausgezogen und trug inzwischen eine dunkle Jeans und ein dezentes Hawaiihemd, das ihre Tochter ihm geschenkt hatte. Ken war noch immer ein gut aussehender Mann. Das hatte sie schon immer als ungerecht empfunden. Männer alterten anders als Frauen. Mit seinen siebenundfünfzig Jahren war Kens Haar grau meliert, und seine gebräunte Haut war von Sonne und Wind gegerbt. Aber er war noch immer aufrecht und stark wie immer, und er hatte sich bisher auch noch keinen Bierbauch angetrunken oder ein Doppelkinn angefuttert. Obwohl ihm im Laufe seiner Dienstjahre zweimal die Nase gebrochen worden war, war sie noch immer gerade. Frauen blickten ihn noch immer voller Interesse an, während Männer immer öfter in die andere Richtung sahen, wenn sie selbst die Straße entlangging. Damals hatte sie sich beinahe auf den ersten Blick in dieses Gesicht, in diesen Körper verliebt.
Was nur wieder zeigte, dass eine Frau sich von den seltsamsten Dingen beeinflussen ließ.
„Er war ein netter alter Kauz“, sagte sie.
„Planen sie eine Beerdigung?“
„Es scheint kein ‘sie’ zu geben. Du weißt nicht zufällig etwas über eine Familie, oder?“
„Ich habe nie mehr als ‘Hallo’ zu ihm gesagt.“
Sie wiederholte nicht das Offensichtliche – dass ein Hallo heutzutage alles war, was jemand von Ken erwarten konnte. „Da ist Aufschnitt im Kühlschrank, falls du dir ein Sandwich machen möchtest. Ich habe mir gestern Kartoffelsalat gemacht. Davon ist auch noch etwas übrig.“ Sie hielt ihre Flasche hoch. „Und auch noch hiervon.“
„Ich habe spät zu Mittag gegessen. Ich brauche jetzt eher frische Luft als Essen.“
„Tja, dann leg los. Draußen wartet ein ganzer Strand auf dich.“
Wider Erwarten ging er nicht. „Bis auf den Tod des alten Mannes – hattest du einen schönen freien Tag?“
Sie war überrascht, dass er sich überhaupt daran erinnerte, dass es ihr freier Tag war. „Es war nichts Besonderes los.“ Ihr fiel ihre Begegnung mit Tracy Deloche ein. Früher hätte diese Geschichte ihn zum Lachen gebracht, doch Kens Blick ging schon wieder ruhelos umher. Er wirkte, als wäre er auf der Suche nach irgendetwas. Nach etwas, auf das er seine Aufmerksamkeit lenken konnte, um nicht länger über Wanda nachzudenken.
„Bist du draußen gewesen, um ein bisschen Sonne zu tanken?“, fragte er.
„Ich habe versucht, möglichst nicht zu laufen“,
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