Insel hinter dem Regenbogen (German Edition)
der Dunstabzugshaube erhellte den Herd. Jemand stand am anderen Ende der Küche und hatte sich vornübergebeugt, um die unteren Schränke zu durchwühlen. Beim Geräusch der Tür richtete die Person sich jäh auf und wirbelte herum.
„Was machen Sie hier?“, wollte Tracy wissen, noch bevor sie das Gesicht des Eindringlings erkennen konnte. „Das ist Einbruch.“
„Oh, machen Sie sich nicht ins Hemd.“ Die Frau straffte die Schultern und funkelte Tracy an.
Wanda Gray. Bekleidet mit einer schwarzen Leggings und einem ebenso engen schwarzen T-Shirt. Sie sah aus wie ein weißer Ninja.
Tracy spürte, wie die Spannung aus ihr wich, ehe sie sich wieder verspannte – sie war zu Recht wütend. „Sie haben mich zu Tode erschreckt! Was glauben Sie eigentlich, was Sie hier machen? Und wie sind Sie überhaupt hereingekommen?“
Wanda schob die Hand in ihre Tasche. Einen Moment lang wusste Tracy nicht, was sie tun sollte, dann hielt Wanda einen Schlüssel an einer spiralförmigen Kette in der Hand.
„Herb hat mir seinen Ersatzschlüssel gegeben. Weil er schon so alt war und so. Ich denke, er wollte, dass ich nach dem Rechten sehe, wenn er sich länger nicht blicken lässt. Um sicherzugehen, dass er nicht mit gebrochener Hüfte auf dem Boden liegt. Oder Schlimmeres.“
„Und das machen Sie gerade?“ Tracy versuchte, lockerer und ruhiger zu klingen, als ihr deutlich erhöhter Pulsschlag es ihr eigentlich befahl. „Sie durchsuchen die Schränke, um zu sehen, ob er mit einer gebrochenen Hüfte drinliegt?“
„Kein Grund, bissig zu werden. Ich weiß, dass er tot ist.“ Wanda schnippte mit den Fingern. „Einfach so. Dieser Symington hat es mir erzählt. Natürlich hat Mr. Symington selbst den armen Herb nicht gefunden. Diejenige, die ihn gefunden hat, hat sich nicht die Mühe gemacht, seine Nachbarn über seinen Tod zu informieren.“
Damit hatte sie vollkommen recht, doch Tracy verzog keine Miene. „Wenn Sie den Schlüssel benutzt hätten, wie Herb es erwartet hat, wären vielleicht Sie diejenige gewesen, die ihn gefunden hätte. Dann hätten Sie die schlechten Neuigkeiten aus erster Hand erfahren.“
Wanda sagte kein Wort.
„Also, was machen Sie hier?“, fragte Tracy.
„Ich habe ihm letzte Woche Kuchen vorbeigebracht. Auf meiner besten Kuchenplatte. Meine Tochter hat sie mir geschenkt, und sie ist sonst nicht so gut, was Geschenke betrifft. Einmal hat sie mir ein Paar Earth-Schuhe aus braunem Wildleder geschenkt – als ob ich die anziehen würde. Die Kuchenform ist aber toll. Ich wollte einfach nicht, dass jemand hereinkommt und sie mitnimmt, weil sie ihm so gut gefällt.“
„Warum haben Sie mir nicht Bescheid gesagt, dann hätten wir zusammen danach suchen können.“
Wanda schnaubte verächtlich.
„Um ganz offen zu sein, bin ich die letzten Jahre über die Runden gekommen, ohne einen Kuchen zu backen. Und ich denke auch nicht, dass sich das in Zukunft ändern wird.“ Tracy sah einen Lichtschalter und betätigte ihn. Die Deckenlampe ging an. „Kommen Sie, lassen Sie uns mal sehen, ob wir sie finden können.“
„Sie wollen doch nur sehen, ob ich auch die Wahrheit gesagt habe.“
Tracy nahm an, dass sie damit vermutlich nicht ganz falschlag. Aber vor allem wollte sie, dass Wanda endlich nach Hause ging. „Wie sieht die Form aus?“
Sie hörte aufmerksam zu, als Wanda die Kuchenform beschrieb, und fing dann an, die Schränke zu öffnen. In einem der Schränke standen einige wenige Gläser. Der Anblick versetzte Tracy einen Stich. Ein paar Teller in einem anderen, einige Unterteller und Schüsseln. Noch mehr Stiche. Es hatte offensichtlich kein Grund bestanden, mehr Geschirr zu haben, um zum Beispiel auch mal jemanden einladen zu können.
„Hatte Mr. Krause Freunde?“, fragte sie. „Sie haben ihn besser gekannt als ich. Und was noch wichtiger ist: Hatte er Familie? Denn das Beerdigungsunternehmen hat zwar gern sein Geld genommen, aber ansonsten nichts über ihn aufgezeichnet.“
„Es geht ums Memorial, richtig? Bei der Arbeit hat mir jemand erzählt, dass die vom Memorial auch schon bald hinter mir her sein werden. Sie sind wahrscheinlich an Herb herangetreten und haben sich nach Abschluss des Vertrages nicht weiter um die Details gekümmert. Dazu sind sie viel zu sehr damit beschäftigt, jeden über fünfzig anzusprechen, der sein Geld noch nicht vorsorglich für den Todesfall bei ihnen hinterlegt hat.“
„Also, können Sie denn nun weiterhelfen? Wissen Sie irgendetwas über ihn?“,
Weitere Kostenlose Bücher