Insel hinter dem Regenbogen (German Edition)
wirst die ganze Zeit drinnen sein, Kinderbücher lesen und malen, während deine Freunde draußen Fußball spielen und hier im Freizeitzentrum schwimmen gehen. Verstanden?“
„Glauben Sie, dass ich das alles nicht weiß?“
„Ich habe keine Ahnung, aber es kommt mir ziemlich dumm vor, einen großartigen Sommer aufs Spiel zu setzen, nur weil du von der Schule die Nase voll hast.“
„Ich hasse die Schule. Mein Lehrer hasst mich.“
Das konnte Tracy sich lebhaft vorstellen. Sie war erst ein paar Minuten mit dem Jungen zusammen, und er stand schon ganz oben auf ihrer Abschussliste. Einen Moment lang musterte sie ihn. Er hatte von der Sonne gebleichtes braunes Haar, Augen, die ähnlich goldbraun waren, war pausbäckig und hatte einen Schmollmund. Sein T-Shirt war am Saum eingerissen. Bei einem seiner Sneaker war ein Schnürsenkel offen und so zerrissen, dass man mit ihm nie wieder eine Schleife würde binden können.
„Wissen deine Eltern, wie unglücklich du bist?“
„Mein Dad hat gesagt, ich soll alle bösen Dinge aufschreiben, die mein Lehrer sagt. Und das mache ich auch.“
Tracy verstand. „Lass mich raten. Dein Lehrer hat die Notizen heute Morgen gefunden. Was hatte dein Vater denn mit den Aufzeichnungen vor?“
Bay zuckte die Schultern.
Mit einem Mal dämmerte Tracy etwas. „Mrs Woodley hat dich Bay Egan gerufen. Hast du etwas mit Marsh Egan zu tun?“
„Er ist mein Dad.“ Sein Tonfall sagte: „Na und?“
Tracy konnte es kaum glauben. Marsh und Bay. Wie entzückend. Die Namen bedeuteten übersetzt: Marsch und Bucht. Versteckte sich vielleicht noch irgendwo ein Swamp, also Sumpf, oder eine Sandbar, also Sandbank? Und was hatte Marsh Egan mit der Liste seines Sohnes vorgehabt? Den Lehrer verklagen, so wie er das Army Corps of Engineers verklagte?
Gladys kehrte zurück. „Komm mit rein, Bay“, sagte sie und streckte den Arm aus. „Die Bibliothekarin ist unterwegs, um dich abzuholen.“ Sie sah Tracy an. „Sie haben Streichhölzer gezogen. Sie hat eine Freistunde.“
Jetzt wirkte Bay nur noch niedergeschlagen. „Sie hasst mich auch. Nur weil ich ein blödes Buch in den Trinkwasserbrunnen geschmissen habe.“
„Ich kann ihn jetzt übernehmen“, wandte Gladys sich an Tracy und gab Bay ein Zeichen, ihr ins Haus zu folgen. „Danke für Ihre Hilfe.“
Seltsam, dass ich vor ein paar Minuten das Gleiche zu dieser Frau gesagt habe, dachte Tracy. Sie war froh, dass sie und Gladys Woodley nun mehr oder weniger quitt waren. Als Beweis dafür hatte sie einen blauen Fleck am Schienbein.
10. KAPITEL
N ach einem erfolgreichen Morgen, an dem sie gestrichen hatte, ging Tracy nach draußen, um sich einen Misserfolg anzusehen. Unter den gegebenen Umständen waren ein paar nutzlose Stapel mit Fliesen nicht der Rede wert. Verglichen mit der Demütigung der Scheidung, der Fahnenflucht ihrer Freunde und Familie und einem Stück Land voller Feuerameisen und Moskitos, das niemand kaufen wollte – ganz zu schweigen von ihrem Heulanfall im Freizeitzentrum an diesem Morgen –, waren die Fliesenstapel nichts. Vielleicht sollte sie Muschelschalen auf die Fliesen kleben und sie auf dem Strandflohmarkt verkaufen. Sie könnte reizende kleine Landschaften kleben oder Möwen aus Muschelkalk, die auf eine Sonne aus einer Jakobsmuschelschale zuflogen. Wenn sie sofort loslegte, war sie vielleicht fertig, wenn sie in Rente ging. Falls sie überhaupt Anspruch darauf hatte.
Niedergeschlagen betrachtete Tracy die Fliesen. Als sie die Kostenvoranschläge der beiden anderen Fliesenleger geholt hatte, war aus dem Morgen, der schon bescheiden begonnen hatte, schnell ein katastrophaler Morgen geworden. Wenn sie einen der Männer bezahlte, um den Fußboden zu fliesen, würde einer ihrer Mieter sie schon bald auf den Fliesen liegend finden, verblichen, den Blick in die Ewigkeit gerichtet. Sie würde eine Nachricht hinterlassen, in der stand, dass sie verhungert war, während der Handwerker sich dank ihres Sparkontos eine goldene Nase verdient hatte.
Sie würde nicht aufschreiben, wie man ihre Familie ausfindig machen konnte. Sie und Herb könnten den anderen dann von ihren Gräbern aus eine lange Nase drehen.
Ein Pfennigfuchser mit etwas mehr Erfahrung hätte sich die Preise fürs Verlegen der Fliesen genau angeschaut, ehe er die Fliesen gekauft hätte. Sie hatte sich so gefreut, ein Schnäppchen zu machen, und dabei doch immer noch wie eine Prinzessin gedacht. In ihrer Vorstellung hatte sie einfach mit den anmutigen
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