Insel meiner Sehnsucht Roman
zu sich genommen. Tee für Sie, Sir?«
»Heiß und stark, eine große Kanne, bitte«, antwortete Royce.
»Und vielleicht diese kleinen Sandwiches, die Joannas Köchin so köstlich zubereitet«, ergänzte Kassandra.
»Heute hat sie einen wunderbaren Apfelkuchen gebacken«, verkündete Sarah.
»Ausgezeichnet! Der würde auch den erschöpften neuen Eltern schmecken.«
»Ja, ich werde den Herrschaften sofort zwei große Stücke servieren. Ist das nicht himmlisch? Eine Tochter! Sicher wird sie zu einer perfekten kleinen Lady heranwachsen.«
»Hoffentlich nicht«, murmelte Royce, nachdem das Dienstmädchen den Salon verlassen hatte. »Sonst wäre sie unerträglich.«
»So etwas darfst du nicht sagen«, mahnte Kassandra. »Du müsstest Ladys bewundern. Vor allem die perfekten.«
»So? Und warum?«
»Gewisse Dinge sollte man tun – und andere nicht. Zum Beispiel hast du vor ein paar Minuten festgestellt, was man nicht machen dürfte.«
»Ah, du meinst den Kuss. Darüber habe ich inzwischen nachgedacht.«
»Wirklich? Ist dir klargeworden, dass ich nie zuvor einen Mann geküsst habe?«
»Großer Gott …«
»Was heißt das?«
»Wenn es dein erster Kuss war – hast du eine erstaunliche Leistung vollbracht.«
»Oh, vielen Dank. Wie ich bereits erwähnt habe, Unschuld bedeutet keineswegs …«
»Ignoranz. Das habe ich mittlerweile begriffen. Und wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gern das Thema wechseln.«
»Und wenn es dir nichts ausmacht – würdest du mir verraten, warum du das möchtest?«
»Weil du viel zu gut küssen kannst, obwohl du's nie zuvor versucht hast, weil ich mich unter dem Dach meines Schwagers befinde und …«
»Ach, dieses ständige Gerede über die Dinge, die man darf und die man nicht darf …«
»Ziemlich kompliziert, nicht wahr?«
»Allerdings. Ah, da ist der Tee.« Und was Kassandras knurrender Magen noch viel wichtiger fand – zwei große Platten mit Sandwiches und Kuchen. Genüsslich begannen sie zu essen, und als der Hunger halbwegs gestillt war, unterhielten sie sich wieder.
Royce ist ein sehr angenehmer Gesprächspartner, konstatierte Kassandra. Vielleicht, weil er mit einer Schwester aufgewachsen ist und die Tatsache respektiert, dass sie einen Verstand besitzt …
»Wie war Joanna in ihrer Kindheit?«, fragte sie, nachdem sie den letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte.
Liebevoll lächelte er. »Ein kleines Temperamentsbündel.« Dann erlosch das Lächeln. »Zumindest, bis unsere Eltern starben. Danach war sie lange Zeit sehr still. Erst die Begegnung mit Alex brachte ihr wahres Wesen wieder zum Vorschein.«
»Die beiden lieben sich so sehr.«
»Ja, nicht wahr?« Verwundert zog er die Brauen zusammen.
»Glaubst du nicht an die Liebe?«
»Doch. Auch meine Eltern liebten sich über alle Maßen. Ich war alt genug, um das zu erkennen. Daran erinnere ich mich immer noch.«
»Und meine Eltern waren genauso innig verbunden. Meine Mutter schenkte ihrem ersten Ehemann, Atreus Vater, ihr ganzes Herz. Als er bei einem Jagdunfall ums Leben kam, versank sie in tiefer Trauer. Aber ich glaube, für Alex' und meinen Vater empfand sie eine andere Art von Liebe.«
»Auf welche Weise?«
»Ihren ersten Mann hatte sie gekannt, seit sie ein kleines Mädchen gewesen war. Ihr Vater, der Vanax, hatte ihn ausgesucht und eine gute Wahl getroffen. Wäre ihr Mann nicht gestorben, hätten sie eine lange, glückliche Ehe geführt. Doch es war nicht jene leidenschaftliche, verzehrende Liebe, jener Sturm der Gefühle, der eine Seele verwandelt.« Royce rührte in seinem Tee. »Irgendwie hatte ich den Eindruck gewonnen, du würdest Byron nicht schätzen.«
»Was hat das denn damit zu tun?«
»Ach, ich weiß nicht – wenn du von Leidenschaft und stürmischen Gefühlen redest, muss ich an seine Gedichte denken.« Beim Anblick ihrer Miene versuchte er, seine Worte abzuschwächen. »Nicht, dass er sich so klar ausdrücken würde wie du. Dazu ist er unfähig. Außerdem beschreibt er immer nur seine eigenen Emotionen.«
»Zweifellos ist es möglich, schlechte Poesie zu verachten und die Macht der wahren Liebe trotzdem zu respektieren«, erwiderte Kassandra kühl.
»Nun, vielleicht geht es nur um einen Unterschied zwischen Männern und Frauen – um einen von vielen.«
»Byron ist ein Mann.«
»Schon gut, lassen wir's dabei bewenden. Nimm dir noch ein Stück Apfelkuchen.«
»Ignoranz ist nicht …«
»Um Gottes willen, das weiß ich inzwischen! Wollen wir ein erfreulicheres Thema
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