Insel meiner Sehnsucht Roman
schauen.«
»Sogar im Schatten eines Vulkans?«
»Ja.« Sie zeigte in die Ferne. »Wenn ich mir auch nicht sicher bin – da draußen scheint eine Qualle zu schwimmen.«
Royce wandte sich in die angegebene Richtung und entdeckte eine dunkle Gestalt, die sich knapp unter der Wasseroberfläche bewegte. »Was für ein großes Tier.«
»Fünfzehn oder zwanzig Fuß lang. Siehst du, wie die Delphine und die fliegenden Fische flüchten? Im Grunde fürchten sie die Qualle nicht. Denn sie würde gar nicht versuchen, sie zu erbeuten. Trotzdem machen sie einen weiten Bogen um dieses unheimliche Geschöpf.«
»Das würde ich auch tun.«
»Die Quallen schmecken köstlich. Allerdings erlegen wir nur die kleineren.«
»Sind die großen gefährlich?«
»Nein, das Fleisch ist zu zäh, und so würde sich die Mühe nicht lohnen.«
Royce lachte, und sein Blick strahlte so viel Herzenswärme aus, dass sie es klüger fand, wegzuschauen. Doch das gelang ihr nur für wenige Sekunden, und sie starrte wieder in die grüngoldenen Augen, die viel zu viel sahen.
»Wie ich inzwischen herausgefunden habe, schreckt ihr Akoraner vor keiner Herausforderung zurück«, sagte er.
»Trotzdem suchen wir uns die Kämpfe aus, die es wert sind.«
»Ja – auch du wirst dich dazu entschließen.«
Eine Zeit lang schwiegen sie. Was Royce mit diesen Worten meinte, wollte Kassandra nicht ergründen. An diesem schönen Tag fuhren sie nach Leios, dem Ort der Ebenen. Es kommt, wie es kommt, dachte sie.
»Diesmal keine Olivenhaine?«, fragte er.
Ohne ihn anzusehen, schüttelte sie den Kopf und be obachtete das Wasser, das am Schiffsrumpf vorbeiströmte. »Nicht auf Leios. Es wäre klüger, wenn du Olivenbäume dort nicht erwähnen würdest. Natürlich essen die Inselbe wohner Oliven, aber der Getreideanbau erscheint ihnen viel
wichtiger, als Olivenbäume zu pflanzen.«
»Konkurrieren Kallimos und Leios miteinander?«
»Gewissermaßen – nicht ernsthaft. Schade, dass Brianna uns nicht begleitet hat.«
»Stammt ihre Familie von Leios?«
»Ja, und ihre Verwandten werden sie zweifellos vermissen. Doch sie möchte Elena nicht verlassen.« Nicht in so schweren Zeiten, wo der Heilkundigen die vielleicht härteste Prüfung ihres Lebens bevorstand …
»Glaub mir, Kassandra, dein Bruder wird genesen.«
Dankbar schöpfte sie Trost aus seinen Worten. Als er näher zu ihr trat und einen Arm um ihre Taille legte, wehrte sie sich nicht. Für einen kurzen Moment vergaß sie die Position der Atreides und war einfach nur eine Frau, die einen Mann liebte.
Dein Volk ist mein Volk. Wie wundervoll, ein so innig empfundenes Gelöbnis auszusprechen… Und die bittere Erkenntnis, dass sie es nicht durfte.
Um die Mitte des Nachmittags erschien ein dunkler Streifen am nördlichen Horizont. Darauf wies sie Royce nicht hin, und sie hoffte, er würde die Insel nicht bemerken. Doch er fragte schon nach wenigen Minuten: »Ist das Deimatos?«
Kassandra gab vor, sie würde erst jetzt hinüberschauen – auch wenn sie wusste, dass er sich nicht täuschen ließ. »Ja.«
Während er schwieg, fragte sie sich beklommen, welch schreckliche Erinnerungen an seine Gefangenschaft ihn quälen mochten. Schließlich erklärte er: »Ich dachte, die Insel wäre größer.«
»Manchmal trügt der äußere Schein.«
»Offensichtlich. Sind Marcellus' Männer immer noch dort?«
»Ich glaube, sie sind heute Morgen zurückgesegelt. Gestern kamen Boote nach Ilius mit der Nachricht, sie hätten nirgendwo auf Deimatos die Spuren eines Schwefelabbaus gefunden.«
»Wenn der Schwefel aus Kristallen besteht, wäre es überflüssig, danach zu schürfen, nicht wahr?«
»Wahrscheinlich. Solche Kristalle liegen am Boden, zumeist in Höhlen. Aber es sieht nicht so aus, als hätte sich in letzter Zeit jemand mit Schwefel eingedeckt.«
Royce starrte zu der fernen Insel hinüber. »Wie du dich sicher entsinnst, wurden einige von Deilos' Anhängern nie gefasst.«
»Nun, es wäre möglich, dass einige am Leben geblieben sind. Wie viele Männer er um sich geschart hatte, konnten wir nicht feststellen. Aber selbst wenn ein paar immer noch frei herumlaufen – ohne ihren Anführer werden sie nichts zu Wege bringen.«
»Also hältst du ihn für tot?«
»Nein«, erwiderte sie leise. Vor ihrem geistigen Auge tauchte das düstere Bild der Vision auf, die sie in Amelias künftigem Kinderzimmer heraufbeschworen hatte. Und plötzlich glaubte sie, dumpfes Donnergrollen zu hören, die Warnung vor einem drohenden
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