Insel meiner Traeume
der Rüpel auch noch, anstatt sie zu trösten.
Mit einem übereifrigen Lächeln hatte Madame Dupres sie in dem Haus erwartet, das sie bewohnen würden. Und
in den drei Tagen, seit die Hawkfortes eingetroffen waren, hatte sie es nicht mehr verlassen.
»Ein Triumph!«, jubelte die rundliche Schneiderin. Dann erhob sie sich ächzend von den Knien und inspizierte Joanna, die in stoischer Ruhe dastand, fest entschlossen, der Tyrannin keine Genugtuung zu gönnen.
»Wissen Sie, mein Bruder ist verrückt. Bald wird man ihn in eine geschlossene Anstalt einliefern - damit rechne ich jeden Augenblick.«
An solche Bemerkungen hatte sich Madame Dupres in den letzten drei Tagen gewöhnt, und so kicherte sie nur. »Oh, Seine Lordschaft ist überaus großzügig. Gäbe es doch mehr solche Gentlemen...«
»Die gibt es«, versicherte Joanna. Mit einer weit ausholenden Geste stieß sie beinahe ein nervöses Lehrmädchen um, das weitere kostbare Stoffballen herbeischleppte, und wies auf die Welt jenseits der hohen Fenster. »Da draußen finden sich zahlreiche Stützen der Gesellschaft, die Sie um Ihre Dienste anflehen würden. Wie können Sie sich dieser erlauchten Schar verweigern?«
»Um die kümmern sich meine Gehilfinnen«, erklärte die praktisch veranlagte Madame Dupres. »Sie, Mylady, sind mein Spezialprojekt.«
»Gott helfe mir...«
»Nun, ich glaube, das hat er bereits getan.« Mit Kennermiene musterte Madame Dupres die junge Frau, die Selbstvertrauen ausstrahlte und die eine ganz bestimmte erotische Aura umgab. Während sie an einem Gurkensandwich kaute, das ihr ein ehrfürchtiges Dienstmädchen angeboten hatte, fuhr sie fort: »Ich nehme an, das wird ein sehr interessanter Sommer.«
»Bei den Chinesen gibt’s dazu einen sehr passenden Fluch: >Mögest du in interessanten Zeiten leben.<«
Ungerührt zuckte Madame Dupres die Achseln. »Ja, die Cbinoiserie ist gerade groß in Mode. Warten Sie nur, bis Sie den Marine Pavillon des Prinzregenten sehen, Mylady, der wird Sie maßlos überraschen.«
Nicht nach jener Party im Carlton House, dachte Joanna. Doch sie sollte sich irren.
»Da stand einmal ein hübsches kleines Bauernhaus«, erklärte Royce, als er seiner Schwester aus dem Wagen half. »Prinny hat’s vor fast zwanzig Jahren gesehen und sich angeblich in die Aussicht verliebt, die man von hier aus genießt.«
Joanna riss ungläubig die Augen auf. Eigentlich hätte der Kuppelbau sie auf diesen Anblick vorbereiten müssen. Aber dem war nicht so. Vor ihren erstaunten Augen erhob sich ein riesiges Haus im klassizistischen Stil, etwa hundert Meter vom Meeresufer entfernt, umgeben von mehreren Nebengebäuden, die allen erdenklichen Zwecken oder gar keinem dienen mochten. Die sinkende Sonne tauchte die Szenerie in rotgoldenes Licht, von lodernden Fackeln entlang der gekiesten Zufahrt unterstützt, wo sich zahlreiche stattliche Kutschen drängten.
»Geht’s hier jeden Abend so zu?«, fragte Joanna.
»Manchmal versammeln sich noch viel mehr Gäste im Pavillon. Heute Abend hält sich die Gästeschar in Grenzen.« In grenzenloser Untertreibung ergänzte Royce trocken: »Prinny ist nicht gern allein.«
Ein solches Schicksal brauchte er an diesem Abend nicht zu fürchten. Als Joanna an Royces Arm den Marine Pavillon betrat, musste sie sich sehr zusammenreißen, um nicht mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen dazustehen. Immerhin war sie von Madame Dupres gewarnt worden. Doch das Ambiente war einfach unglaublich -als hätte sie Kontinente überquert. Wohin sie auch schaute, entdeckte sie die populären Chinoiserien - Pagoden und Drachen zwischen Lackschränkchen, Bambusmöbeln, Papierlaternen, Porzellan und Palmen. Hier war kein Fleckchen ungenutzt geblieben. Die Wände und Zimmerdecken leuchteten in blendendem Karmesin- und Scharlachrot, Taubenblau und Smaragdgrün, Saphirblau und Gold. Auf exotische Weise wäre die Ausstattung schön gewesen, doch sie wirkte einfach zu überladen. Und die voll gestopften Räume erweckten den Eindruck, der Prinzregent hätte keinen Palast eingerichtet, sondern Ali Babas Höhle.
»Nicht zu fassen, Royce...« Noch während Joanna sprach, merkte sie, welch großes Interesse sie erregten. Männer wie Frauen unterbrachen ihre Konversation mitten im Satz und gafften. Ihrem Bruder galten die meisten neugierigen Blicke. Wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt wurde er angestarrt. Aber auch sie erregte Aufsehen.
»Anscheinend hat Madame Dupres ihr Wort gehalten, als sie dir ein
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