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Insel meiner Traeume

Titel: Insel meiner Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josie Litton
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die Augen hellwach, als würde die Mittagssonne scheinen. »Bald wird’s Tag«, bemerkte er.
    Bedrückt starrte sie durch eine der geschliffenen Glasscheiben zu beiden Seiten der Haustür. »Irgendetwas ist passiert.«
    Zum Glück zweifelte er nicht an ihren Worten und stand sofort auf. »Soll ich mal nachschauen?«, fragte er in sachlichem Ton.
    Wollte sie, dass Bolkum versuchte, Alex zu finden? Nein, das übernahm sie lieber selbst. Und so blickte sie mit einer Zuversicht, die sie zuvor nicht besessen hatte, in ihr Inneres und beschwor die seltsame, manchmal unerreichbare Kraft ihrer Seele. Mit allen Fasern ihres Herzens weckte sie Erinnerungen an Alex, seinen Anblick, seine Stimme, seine Berührung, den Geschmack seiner Lippen, sein Wesen.
    Wo war er?
    Ihre Fingerspitzen zuckten. Beinahe spürte sie die glatte Wärme seiner Haut, die Bewegung seiner Brust, wenn er lachte, während sie ihren Kopf an ihn schmiegte. So hatten sie am Teich der Seufzer beisammen gelegen - und später auf Deimatos, nach der Flucht aus den eingestürzten Höhlen. Damals hatte die Luft nach feuchtem Sand gerochen, nach Moos, unter den beiden Körpern zerdrückt, nach Jasmin, der zur Nachtzeit seine Blüten öffnete, nach dem allgegenwärtigen Zitronenduft...
    Blut.
    Plötzlich drang der Eisengeruch von Blut in ihre Nase, sie schmeckte es in ihrer Kehle, fühlte es auf der eigenen Haut.
    »Alex!«
    Bestürzt rannte Royce aus dem Garten in die Halle. Bolkum umfing Joannas Schultern, und Mrs. Mulridge eilte aufgeregt herbei. »Oh, ich wusste es ja - genau das würde passieren. Schon immer hat’s in Ihrer Ladyschaft gesteckt -aber noch nie so machtvoll. Um es richtig hervorzuholen, musste etwas ganz Besonderes geschehen.«
    »Was stimmt denn nicht?« Royce befreite seine Schwester sanft von Bolkums Arm, schaute ihr eindringlich in die Augen und versuchte, sie mit seinem Blick zu beruhigen.
    Immer noch unter dem erschütternden Eindruck ihrer Erkenntnis, stammelte sie: »Alex - er - er ist verletzt... Deshalb kam er nicht zu uns - doch er muss irgendwo in der Nähe sein. Da bin ich mir ganz sicher.«
    Seit sie denken konnte, war ihr der Bruder eine unverzichtbare Stütze gewesen, vor allem nach dem Tod der Eltern. Auch jetzt ließ er sie nicht im Stich. Vor ihren Augen schienen sich die letzten Spuren seines eigenen Leids in nichts aufzulösen. Dies war der Lord of Hawkforte, der Erbe zahlreicher Generationen von Männern und Frauen, die viel gewagt und großartig triumphiert hatten.
    »Keine Bange, wir werden ihn finden«, versprach er und winkte Bolkum zu sich, der ihm ins Morgengrauen hinaus folgte. Joanna begleitete Mrs. Mulridge in die Küche.
    Nun hatten sie etwas Zeit - wie viel wusste sie nicht. Nur eins stand fest, Royce würde Alex finden. Daran zweifelte sie keine Sekunde lang.
    »Heißes Wasser ist immer nützlich«, verkündete Mrs. Mulridge und hängte einen großen Topf über den Herd. »Bitte, holen Sie das Kästchen, Mylady.«
    Bei der Ankunft im Brightoner Haus hatten sie das kostbare Kästchen in eine Abstellkammer gebracht. Wie alt es sein mochte, wusste niemand. Es bestand aus zerkratzter, von Jahrhunderten verdunkelter Eiche und war in Eisen gefasst, das sich allmählich gelockert hatte, aber das Holz immer noch zusammenhielt. Der Familienchronik zufolge hatte eine heilkundige Frau das Kästchen einer Hawkforte-Braut geschenkt. Darin hatte Joannas Mutter Arzneien und Verbandszeug verwahrt, ebenso wie die Mutter von Joannas Vater und deren Mutter in ungebrochener Linie, die sich irgendwann im Nebel der Vergangenheit verlor.
    Allein schon das Gewicht des Kästchens in ihren Armen war ein Trost. Sie trug es in die Küche, wo Dampf aus kochendem Wasser emporstieg. Mittlerweile hatte Mrs. Mulridge Handtücher über den großen Arbeitstisch gebreitet. »Lange wird’s nicht mehr dauern«, meinte sie und begann, Leintücher in Streifen zu reißen.
    Und sie sollte Recht behalten. Bald öffnete sich die Hintertür zum Garten. Mit vereinten Kräften schleppten Royce und Bolkum den Marquess of Boswick herein, der völlig erschlafft zwischen ihnen hing.
    Joanna schrie nicht. Darauf war sie sehr stolz, als sie ihnen entgegenlief.
    »Keine Bange, er wird’s überstehen«, versicherte Royce hastig. Dann half ihm Bolkum, den Verletzten auf einen Stuhl zu setzen. Alex war hinlänglich bei Bewusstsein, um Joanna anzuschauen und eine Grimasse zu schneiden. An seinen Lippen und der Braue über dem zugeschwollenen rechten Auge klebte Blut.

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