Insel meiner Traeume
Kanonen keine Spielsachen. Sie dienen einzig und allein dem Zweck, den Feind in Stücke zu reißen, völlig zu vernichten und ins Erdreich zu befördern.«
Während sich die Gesichter der Gentlemen verdüsterten, erschauderten die Damen in wohligem Entzücken.
»Wie schrecklich wäre es«, fuhr Alex fort, »solche Geschütze gegen Soldaten zu richten, die Freunde und Brüder sein sollten.«
»Allerdings!«, rief der Prinzregent und nickte so heftig, dass man beinahe glauben konnte, sein Kopf würde vom Hals fallen. »Verdammt gut ausgedrückt! Auf dieser Welt gibt’s genug Feinde. Also müssen wir unsere Freunde erkennen.« Mit einer dramatischen, etwas ungeschickten Geste umarmte er Alex. »Ja, der alte Boswick wusste, was er tat, als er Sie zu seinem Erben einsetzte, Darcourt.« Dann trat er einen Schritt zurück und winkte Joanna zu sich. »Gutes altes Haus, dieser Boswick. Die Dynastie geht auf William, den Eroberer, zurück. Natürlich leben in diesem Land noch ältere Familien. Der erste Lord von Hawkforte hat an der Seite Alfreds des Großen gekämpft. Wussten Sie das, Darcourt? Also, das nenne ich wirklich alt.«
»Gekämpft und gesiegt«, warf Royce ein.
Wieder nickte Prinny. Das Gesicht hochrot, das Haar zerzaust und sichtlich betrunken, hatte er sich immer noch in der Gewalt. »Auf die Hawkfortes konnte die Krone immer bauen. Niemals ließen sie uns im Stich. Kein einziges Mal.«
»Doch, unter der Regentschaft Richards des Dritten«, widersprach Royce lächelnd.
»Darauf müssen wir nicht herumreiten, mein Junge«, entschied Prinny. »Völlig überflüssig. Also, das ist in der Tat erfreulich. Zwei alte Häuser, drei gute Freunde. Welch ein herrlicher Abend...«
Da gab Joanna ihm Recht - nicht zuletzt, weil sie mit Alex und Royce die Flucht ergreifen konnte, bevor andere Gäste ihre Schießkünste an den Luftgewehren erprobten.
20
Und so verstrich eine Woche in Xanadu, wie Joanna die Stadt seit der Begegnung mit Lord Grey nannte. Zufrieden lebte sie im hellen Licht ihrer Verzauberung, das aber manchmal von wirbelnden Unterströmungen einer nur allzu berechtigten Furcht verdunkelt wurde. Jeden Tag stand sie schockierend spät auf und nahm lange, genussvolle Bäder mit duftendem Öl, zog eines ihrer wunderschönen Kleider an und ging mit den beiden großartigsten Gentlemen von ganz England aus. Der eine erholte sich von der Stichwunde, die ihm nach wie vor anonyme Angreifer beigebracht hatten, von einem ebenso unbekannten Auftraggeber angeheuert. Vielleicht würde dieser Feind erneut zuschlagen.
In dieser Zeit schrieb Joanna einige Briefe an Kassandra. Die schickte sie nicht ab. Wahrscheinlich würden sie die Adressatin niemals erreichen. Aber eines Nachts, wie üblich zu später Stunde in ihr Zimmer zurückgekehrt, verspürte sie den Wunsch, sich ihrer akoranischen Freundin mitzuteilen, setzte sich an den Schreibtisch neben dem Fenster und ergriff eine Feder.
Royce schläft, schrieb sie, Alex ist soeben gegangen. In dieser Nacht riecht die Luft nach dem Meer. Ich vermisse den Zitronenduft. Vor vielen Wochen konnten wir uns nicht verabschieden. Vielleicht ist das gut so, denn ich hoffe, wir werden uns bald Wiedersehen. Immer öfter denke ich an dich. Was siehst du vor deinem geistigen Auge? Wie viel? Nichts ist in Stein gemeißelt, hast du betont, doch der Schöpfer würde uns alle lieben. In unserer Macht liegt es, die Zukunft zu ändern. Wie gern würde ich dir glauben...
In einer anderen Nacht: Heute Abend erfassten mich seltsame Gefühle. Ich tanzte im Pavillon und sah uns alle aus weiter Ferne, wie eine Reisende, die einem anderen Zeitalter entstammt. Und ich stellte mir vor, wie die Menschen irgendwann über uns reden würden. Unglaublich - ich malte mir sogar aus, sie würden jetzt davon sprechen, als würden alle Zeiten in einem einzigen, geheiligten Augenblick existieren. Empfindest du das auch so?
Und in einer weiteren Nacht: In letzter Zeit denke ich oft an dich und Royce. Hast du sein Schicksal gesehen? Oder sollte ich es sein mögliches Schicksal nennen? Wie siehst du dein eigenes Leben? Erlaubt dir der Schöpfer, der uns alle liebt, den Weg zu erkennen, dem du vielleicht einmal folgen wirst? Fahr nach England! Wie sehr du dir das wünschst, weiß ich. Hier wärst du so glücklich.
Eines Abends spielte sie mit Alex und Royce Euchre. »Kassandra sollte nach England kommen«, bemerkte sie.
»Wer ist Kassandra?«, fragte Royce.
»Alex’ Schwester, die Prinzessin von
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