Insel meiner Traeume
schaden konnte. Gewiss ein entscheidender Vorteil, denn ihre Situation war beklemmend genug...
Da sie nichts sah, schärften sich plötzlich ihre anderen Sinne. Alle Geräusche, nah und fern, nahm sie wahr, das Knarren des Schiffsrumpfs, gedämpfte Stimmen - immer noch hörbar, aber nicht mehr bedrohlich -, das dumpfe Poltern einer Fracht, die vermutlich über das Deck geschoben wurde. Der Laderaum roch nach Holz und Teer, Salz und anderen Dingen. Anfangs schwach, dann etwas deutlicher stiegen die Aromen von Olivenöl und Wein in Joannas
Nase, von Heu und Pferden, Leder und einer weiteren Materie, ein wenig schärfer als die übrigen und seltsam kalt - Eisen.
Einem plötzlichen Impuls folgend, streckte sie ihre Hände nach vorn. Zunächst berührte sie gar nichts, dann wagte sie ein paar Schritte und stieß gegen etwas Großes, Hartes. Ihre Finger ertasteten raue Konturen und abgerundetes Metall, das sich zu beiden Seiten erstreckte - offenbar röhrenförmig, links schmaler, rechts breiter. Was immer das sein mochte, es wurde von starken Ketten festgehalten. Vorsichtig ließ sie eine Hand nach links wandern und neigte sich in dieselbe Richtung. Da stieg ihr ein neuer Geruch in die Nase - unverkennbar, Schießpulver.
Tatsächlich, die metallische Röhre roch nach Schießpulver.
Eine Kanone. Mindestens ein solches Geschütz verwahrten die Akoraner in ihrem Frachtraum. Nicht dass es einen Grund für die Vermutung gab, es wäre das einzige... Während sie sich weitertastete, entdeckte sie zwei weitere, und sie glaubte keineswegs, sie hätte alle gefunden.
Vor einigen Jahren hatte sich Royce, wie die meisten Jungen, für Waffen begeistert. Kaum ein Detail war zu banal, um ihn nicht zu faszinieren, und was er einschlägigen Büchern entnahm, erzählte er der Schwester, die seine Interessen nur zu gern teilte. Niemals hatte sie erwartet, diese Kenntnisse würden ihr eines Tages nützen. Aber wie sie jetzt herausfand, waren die akoranischen Kanonen ungewöhnlich groß. Sicher gab es auf dieser Welt nur wenige Gießereien, in denen man so gewaltige Rohre herstellte. Die Akoraner genossen den Ruf überragender Waffenexperten. Trotzdem schienen sie außerhalb ihrer Landesgrenzen Geschütze zu erwerben, die sie daheim nicht hersteilen konnten. Das überraschte Joanna, denn soviel sie wusste, sträubten sie sich gegen alle fremden Einflüsse.
Ehe sie sich über diesen Widerspruch zu wundern vermochte, wurde sie abrupt in ihre beängstigende Realität zurückgeholt. Klirrend und knarrend, glitt die Ankerkette aus der Wassertiefe. Joanna taumelte hastig seitwärts, bis ihre Hände eine Wand erreichten, sank zu Boden und umklammerte den Beutel, der an ihrer Schulter hing. Um sich zu beruhigen, holte sie mehrmals tief Atem. So oder so -nun war sie gezwungen, den wahnwitzigen Kurs beizubehalten, den sie eingeschlagen hatte. Dass sie gar nicht anders handeln konnte, tröstete sie ein wenig.
Außerdem war sie stets eine ausgezeichnete Seefahrerin gewesen, wenn ihr das Schicksal auch die Freude an Schiffsreisen genommen hatte. Als die Akoraner aus dem Hafen segelten, lockerte das sanfte Schaukeln allmählich die Anspannung in Joannas Körper. Nachdem sie zwei Tage lang kaum geschlafen hatte, wurde sie von ihrer Müdigkeit überwältigt. Ihre Augen fielen zu, ihr Kinn sank auf die Brust. Obwohl sie es in dieser gefährlichen Situation nicht für möglich gehalten hätte, schlummerte sie ein.
Im schwachen Licht des neues Tages, das zwischen den Decksplanken über ihrem Kopf in den Laderaum drang, erwachte sie. Nun sah sie, was das nächtliche Dunkel verborgen hatte, und ihr Blick fiel zuerst auf die Kanonen. Verwundert blinzelte sie. Wohin bin ich geraten, fragte sie sich, immer noch schlaftrunken. Und dann kehrte die Erinnerung zurück, gefolgt von kaltem Entsetzen über den Plan, den sie wirklich und wahrhaftig in die Tat umgesetzt hatte.
Ehe ihr das ganze Ausmaß ihrer Handlungsweise bewusst wurde, versuchte sie aufzustehen. Doch sie hielt mitten in der Bewegung inne, von einer heftigen Schmerzwelle erfasst. Stöhnend umklammerte sie ihren Arm, dann zuckte sie verwirrt zusammen, denn sie spürte warmes Blut an ihrer Handfläche.
»Oh Gott, was...«, flüsterte sie.
Mit großen Augen starrte sie ihren linken Hemdsärmel an, sah dunkle Flecken neben den hellroten, die von einer neuen Blutung stammten. Vage entsann sie sich, dass sie ihren Arm verletzt hatte, als sie durch das Bullauge gekrochen war. Von Angst und Erschöpfung
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