Insel meiner Traeume
einer der Burschen zu ihr herüberschaute. Dann wies sie mit dem Kopf zur Seite. Ohne sich umzudrehen, entfernte sie sich von der Taverne. Wie ihr leise Schritte verrieten, folgten ihr die Kinder.
Um unbeobachtet mit ihnen zu sprechen, ging sie noch ein Stück weiter. Schließlich wandte sie sich zu den beiden Burschen. Mit hängenden Schultern, die Hände in den Taschen der zerrissenen Hosen vergraben, standen sie da und starrten sie an - halb erwartungsvoll, halb misstrauisch. Ehe sie sich anders besinnen konnte, erklärte sie hastig: »Ich hätte einen Auftrag für euch, und ich zahle gut. Seid ihr interessiert?«
»Was ist das für ein Auftrag?«, fragte der größere der beiden. Spöttisch musterte er sie von oben bis unten. »Wie viel können Sie uns schon zahlen? So wie Sie aussehen...«
Das konnte sie ihm nicht verübeln. In der Männerkleidung, die sie auf dem Dachboden des Londoner Hauses gefunden hatte - vor langer Zeit von Royce ausgemustert und mit dem Haar, unter einer Mütze verborgen, wirkte sie gewiss nicht wie eine Lady. Bestenfalls würde man sie für einen Stallburschen halten.
»Eine Guinee jetzt, eine Guinee danach.« Als sie immer noch skeptisch dreinschauten, fügte sie hinzu: »Für jeden von euch.«
Welches Risiko sie einging, wusste sie. Nachdem die Burschen erfahren hatten, dass sie Geld besaß, würden sie vielleicht über sie herfallen und sie berauben. Aber Armut und Ehrlichkeit waren nicht unvereinbar. Außerdem hoffte Joanna, die Abenteuerlust der Kinder zu wecken.
»Was wollen Sie von uns?«, erkundigte sich der zweite Junge, trat zurück und spähte über die Schulter zu der Kneipe, wo er sich wahrscheinlich sicherer fühlen würde.
»Ich muss unbemerkt an Bord eines Schiffs gelangen, das hier in der Nähe ankert, und ihr sollt die Wachposten ablenken. Natürlich dürft ihr nichts tun, was euch verletzen oder gefährden könnte.«
Nun wechselten sie einen kurzen Blick, und der Größere leckte nachdenklich über seine Lippen. »Welches Schiff?«
»Vielleicht kennt ihr es - der Bug ist mit einem Stierkopf geschmückt.«
Da rissen sie die Augen auf und betrachteten Joanna mit wachsendem Respekt.
»Auf dieses Schiff wollen Sie gehen?«, fragte der Kleinere ehrfürchtig.
Der andere ließ sich nur kurzfristig beeindrucken. »Dann müssen Sie verrückt sein. Niemand, der auch nur einen Funken Verstand im Kopf hat, traut sich in die Nähe dieser Leute.«
»Wisst ihr, wer sie sind?«
Beide nickten.
»Aye«, antwortete der Kleinere, »sie haben ein Pier in Southwark, und ein paar Lagerhäuser gehören ihnen auch. Alle paar Monate kommt so ein Schiff an.« Nachdem er auf seinen Gefährten gezeigt hatte, fuhr er fort: »Mein Freund Noggin hier sagt, niemand lässt sich mit ihnen ein. Und sie bleiben immer unter sich. Anscheinend wollen sie’s so haben.«
Joannas Magen krampfte sich zusammen. Aber sie ignorierte ihr Unbehagen und bemühte sich, in ruhigem Ton zu sprechen. »Wie auch immer, ich muss an Bord dieses Schiffs gehen. Glaubt mir, ich zahle gut. Werdet ihr mir helfen?«
Jetzt schauten sie sich wieder an, dann verlangte Noggin: »Zeigen Sie uns das Geld.«
Würden sie ihr jetzt eins über den Schädel geben und sie bestehlen? Zögernd griff sie in die Börse unter ihrer Filzjacke und zog zwei Guineen hervor, die im Fackellicht der Taverne schimmerten. »Wenn’s erledigt ist, bekommt ihr noch
zwei.«
Einige Sekunden lang starrten sie die Goldmünzen entgeistert an. Offensichtlich hatten sie noch nie im Leben so viel Geld auf einmal gesehen, geschweige denn besessen. Joannas Gewissen meldete sich, weil sie die beiden so skrupellos bestach. Aber welche Bedenken sie auch hegen mochte - sie schmolzen wie Eis unter der Sonne.
Grinsend verlangte Noggin: »Alle vier Guineen sofort. Wie wollen Sie uns denn bezahlen, wenn Sie auf dem Schiff sind?«
Ja, natürlich - das hatte sie nicht bedacht.
»Und falls was schief läuft, sind Sie vielleicht nicht mehr imstande, uns das Geld zu geben«, ergänzte er.
Kein besonders angenehmer Gedanke, aber nachvollziehbar. »Also gut.« Joanna griff wieder in ihre Börse. »Aber zuerst müsst ihr mich zum Pier begleiten.«
Fügsam trotteten sie hinter ihr her. Am oberen Ende der Gasse, die zum akoranischen Dock führte, blieb sie stehen. Mit leiser, aber entschiedener Stimme betonte sie: »Tut nichts, was euch schaden könnte. Ist das klar?«
»Aye, natürlich.« Noggin inspizierte das schaukelnde akoranische Schiff. »Was stellen
Weitere Kostenlose Bücher