Insel meines Herzens
er den Männern ihr Zaudern nicht vorwerfen. »Geht!«, rief er gebieterisch. Ohne abzuwarten, ob sie gehorchen würden – woran er nicht zweifelte –, sprang er über eine breite Kluft und kletterte in die Tiefe.
Schon nach wenigen Schritten leistete er sich einen Fehltritt, und sein Fuß durchbrach eine Stelle, die wie fester Grund aussah. Stattdessen züngelten Flammen an den Sohlen seiner Sandalen. Er befreite sich und trat hastig das Feuer aus, dann stürmte er weiter. Sekunden später versengte ein Feuerstrahl seinen linken Arm, was er kaum wahrnahm. Auf halber Strecke, seiner Eskorte weit voraus, sah er etwas Weißes im schwarz-roten Inferno schimmern.
Diesen hellen Fleck erreichte er erst, nachdem er noch zweimal durchs Feuer gegangen war. Er hob die Stola auf, presste die Seide an sein Gesicht und atmete den beglückenden Duft ein.
Allen Göttern sei Dank... Brianna. Sie lebte. Doch die heiße Freude, die ihn erfüllte, währte nicht lange, denn die geliebte Frau befand sich in Deilos’ Gewalt. Mit einem leisen Fluch lief er weiter.
Wenige Minuten später entdeckte er seinen Feind, den etwa ein Dutzend Männer begleitete – und Polonus, an Briannas Seite. Sie sah bleich und leicht benommen aus, aber unverletzt. Während Atreus die kleine Schar beobachtete, stieß Deilos einen Ruf hervor. Sekundenlang zögerte Polonus, bevor er seine Schwester zu ihm führte.
»Dummkopf«, flüsterte Atreus. Was den jungen Mann in die Irre gelockt hatte, wusste er nicht, und es interessierte ihn auch gar nicht. In diesem Moment war nur Brianna wichtig.
Und Deilos, der ihren Arm ergriff und in die kochende Tiefe zeigte...
»Da der Vulkan den Boden bewegt, hat sich der Weg geändert«, erklärte Deilos. »Zuvor war er ungefährlich, das ist er jetzt nicht mehr.« Zu Brianna gewandt, fügte er hinzu: »Gehen Sie voraus, wir folgen Ihnen.«
»Herr...«, begann Polonus.
»Widersprich mir nicht, Junge! Dein Zartgefühl verrät eine Schwäche, die kein richtiger Mann duldet.«
Krampfhaft schluckte Brianna und klammerte sich an eine Hoffnung, die bald entschwand. Viel zu deutlich sah sie die Glut unter der dünnen Erdkruste schwelen. In diese Richtung weiterzugehen, war heller Wahnsinn. Aber wenn sie sich weigerte...
Polonus trat zwischen seine Schwester und Deilos. »Erlaube mir, voranzugehen, mein Herr.«
»Was, du? Wie ich annehme, kannst du kämpfen, und ich will dich nicht verlieren.«
»Bitte, sie ist meine Schwester...«
»Habe ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt? Bist du wirklich töricht genug, um mit mir zu streiten?«
»Aber sie ist eine Frau, die beschützt werden muss«, gab Polonus zu bedenken, »und...«
»Sie ist eine Frau, die dienen muss«, fiel Deilos ihm erbost ins Wort. »Und das wird sie verdammt noch mal tun!«
Entschlossen schob er Brianna vor sich her. Als Flammen am Saum ihrer Tunika leckten, schrie sie auf und raffte den Rock hoch. Aber die Seide war versengt worden.
»Gehen Sie!«, forderte Deilos. »Oder Sie sterben hier und jetzt.«
Polonus’ Hand zuckte zum Griff seines Schwerts. »Mein Herr, ich flehe dich an...«
»Deilos!«
Nur wenige Schritte entfernt stand Atreus, sein Schwert in der erhobenen Hand. Er war allein, umgeben von Feuer und Rauch, als wäre er soeben dem brodelnden Vulkan entstiegen. Bei seinem Anblick jubelte Briannas Herz. Und dann verdrängte qualvolle Angst ihre Freude.
Allein. Um Himmels willen – er war allein.
»Nein, Atreus!«
Ohne ihren Ruf zu beachten, kam er durch den wirbelnden Qualm näher. »Lass sie frei, Deilos.«
»Ach, wie rührend!«, spottete Deilos. »Soeben sprach ich mit dir über unangemessenes Zartgefühl, Polonus. Und jetzt wirst du einen Mann für diese Schwäche sterben sehen.«
»Zurück, Atreus!«, schrie Brianna. Niemals würde sie ihm gestatten, sein Leben aufs Spiel zu setzen. Akora brauchte ihn, hing von ihm ab. Nur zu gut erinnerte sie sich an die Trauer, die sein Volk in den Tagen und Nächten nach dem Mordanschlag auf ihren Vanax gelähmt hatte. Aber diese Qual sollten die Akoraner und Akoranerinnen nicht noch einmal erleiden. Und sie selbst würde es nicht überleben.
Instinktiv ging sie auf ihn zu. Aber Deilos hielt sie blitzschnell fest. Schmerzhaft drückte er seinen verstümmelten rechten Arm an ihren Hals. In seiner linken Hand hielt er ein Messer.
»Lass dein Schwert fallen, Atreus, oder sie stirbt!«
»Tu es nicht!«, klagte Brianna.
Zu spät. Ohne Zögern, ohne den geringsten Zweifel öffnete Atreus
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