Insel meines Herzens
noch mehr.
»Sie wird genesen.«
»Glaubst du das wirklich? Jetzt – wo sie weiß, was ihr so viele Jahre lang verheimlicht wurde?«
Während sie dahinschwebte, suchte sie Vergessen. Die Nacht verging, und Brianna weinte. Wie aus weiter Ferne hörte sie ihr eigenes Schluchzen.
Jemand wischte ihr die Tränen von den Wangen und hielt sie in den Armen.
»Ganz ruhig, Brianna.«
Nicht Leoni... Eine andere Stimme. Delphine?
Leise sang eine Frau. »Schlafe, mein Kind, lass dich von Frieden einhüllen, die ganze Nacht...«
Nun gab sie Tante Constance Recht – Delphine, ihre Mutter, hatte eine ungewöhnlich süße Stimme besessen, die mit ihr gestorben war. Nur in der Erinnerung lebte der schöne Klang weiter.
Ein Strand... Irgendwo in Frankreich. In der Nähe des Hauses, wo sie wohnten. Der Vater hatte ein Feuer entzündet, und sie saßen daneben – Brianna auf dem Schoß ihrer Mutter. Trotz der kühlen Nachtluft war ihr warm. Wohlig kuschelte sie sich in eine Decke. Über ihrem Kopf funkelten Sterne.
Herzhaft begann ihr Vater zu lachen. Allein schon dieses Gelächter genügte, um sie mit reinem Glück zu erfüllen.
»... die ganze Nacht...«
In ihrer Seele – dunkle Nacht. Sie befand sich jenseits des Schreckens, jenseits der Trauer. Sogar der Schmerz erschien ihr gedämpft. Aus diesem Stoff bestand das Leben – Momente heller Freude, verschmolzen mit leidvollen Verlusten. Noch einmal sah sie Deilos ins Feuer springen und versank noch tiefer im willkommenen Vergessen.
Als sie die Augen wieder öffnete, blinzelte sie ins Tageslicht. Joanna saß neben dem Bett und las ein Buch, blickte aber auf, sobald Brianna sich bewegte.
»Was...« War das ihre Stimme? Dieses schwache Krächzen?
»Sei ganz ruhig.« Joanna legte das Buch beiseite, schlang einen Arm um Briannas Schultern und half ihr, sich aufzurichten.
Aber sie wollte keine Hilfe. Nicht von diesen Menschen.
»Du hast viel durchgemacht.« Verwundert runzelte Joanna die Stirn, weil die Freundin sich versteifte und von ihr wegrückte.
»Und – Atreus...?« Brianna musste sich zwingen zu sprechen.
»Im Augenblick hält er eine Sitzung mit den Ratsherren ab. Wie fühlst du dich?«
Wie fühle ich mich? »Als wäre ich von mir selbst losgelöst.« Das war Brianna sogar lieber, denn diese Trennung von ihrem Ich schützte sie wenigstens ein bisschen. »Polonus...« Sekundenlang sah sie ihn vor ihrem geistigen Auge, ein Messer in der Brust, und biss auf ihre Lippen.
»Reg dich nicht auf«, bat Joanna und rückte die Kissen hinter ihr zurecht. »Er ist schwer verletzt, da will ich dich nicht belügen. Aber Elena glaubt, er wird wieder gesund.«
»Elena?« Dieser Name durchbrach die barmherzige dumpfe Gleichgültigkeit.
»Sie hat uns erklärt, vielleicht würdest du nicht wissen, dass sie noch lebt, ebenso wie die anderen. Polonus hat ihnen nichts angetan.«
»Und ich dachte, er hätte sie alle getötet – ich hielt ihn für fähig, Deilos’ grausamen Befehl zu befolgen.«
»Nach allem, was ich gehört habe, musstest du das befürchten. Aber er tat es nicht. Und er hat dich beschützt.« Als Brianna schwieg, hob Joanna die Brauen. »Sida war schon ein Dutzend Mal hier, um zu sehen, ob du wach bist und ob sie deinen Appetit anregen könnte.«
»Ich habe keinen Hunger«, erwiderte Brianna. Doch das stimmte nicht, zu ihrer eigenen Überraschung. Langsam und unausweichlich kehrte sie zu sich selbst zurück. »Wie lange habe ich geschlafen?«, fragte sie.
Auf dem Weg zur Tür drehte sich Joanna um. »Beinahe einen ganzen Tag. Aber diese Erholung hast du dringend gebraucht.«
Seltsam... Verwirrt starrte Brianna vor sich hin. Ein Tag ihres Lebens war verstrichen, und sie wusste fast nichts davon. Unruhig bewegte sie sich in ihrem Bett und stöhnte.
»Sicher schmerzt die Schnittwunde an deinem Bein«, meinte Joanna und kam zu ihr zurück. »Elena hat sie verbunden, und sie glaubt, es wird keine Narbe zurückbleiben. Außerdem hast du ein paar Brandwunden an Füßen und Fußknöcheln. Auch die werden verheilen.«
»Brandwunden...« In Briannas Fantasie reihten sich Bilder aneinander. Sekundenlang spürte sie sengende Hitze und glaubte, Schwefel zu riechen. »Weißt du, wo ich war? Wo wir waren?«
»Atreus trug dich aus den Höhlen herauf. Also nahm ich an, ihr wärt dort gewesen.« Joanna schaute Brianna nachdenklich an. Doch sie fragte nicht, wieso sich die Freundin verbrannt hatte.
»Ja, natürlich, die Höhlen...« Atreus verstand es, Geheimnisse zu
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