Insel meines Herzens
– aber kann es nicht bis morgen warten?«
»Es wäre mir lieber, wir würden es sofort hinter uns bringen.«
»Oh – ich verstehe...« Er zeigte zu einem Schrank neben den Fenstern. »Möchten Sie ein Glas Brandy?«
»Nein, danke.« Sie holte tief Atem, und er vermutete, sie würde ihren ganzen Mut aufbieten. Und Sekunden später war er sich dessen sicher. »Würden Sie mir verraten, was William, Earl of Hollister, mit Ihnen erörtert hat?«
Einerseits war er verblüfft, andererseits nicht. Wenn sie ihn unter solchen Umständen um eine Unterredung ersuchte, musste es sich tatsächlich um ein wichtiges Anliegen handeln. Trotzdem war er nicht auf ihr Verhalten vorbereitet, das ihm etwas zu kühn erschien. Um Zeit zu gewinnen und sich etwas genauer zu informieren, bat er: »Darf ich fragen, wieso Sie von diesem Gespräch erfahren haben?«
»Heute Morgen sah ich den Gentleman das Haus verlassen...« Nach einem Blick auf die Uhr, die das Kaminsims schmückte, verbesserte sie sich. » Gestern Morgen. In dem Earl erkannte ich den Mann wieder, der mich im Carlton House über den Tisch hinweg angestarrt hatte. Ich erkundigte mich nach ihm und fand heraus, wie er heißt.«
»Und Sie nahmen an, sein Besuch in diesem Haus hätte mit Ihnen zu tun?«
Statt die Frage zu beantworten, erklärte sie: »Der Landsitz der Hollisters liegt in Holyhood.«
»Ja, ich glaube...«
»Vor langer Zeit bin ich in Holyhood gewesen.«
Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Sekundenlang fehlten ihm die Worte, und schließlich fragte er: »Wie können Sie das wissen?«
In knappen Worten erzählte sie ihm, wie sie in der Bibliothek die Zeichnung des Landsitzes von Holyhood studiert und festgestellt hatte, dass sie das Gebäude kannte. »Ganz bestimmt war ich dort. Wann oder warum, weiß ich nicht. Jedenfalls gibt es keinen Zweifel. Weil sich William Hollister bei meinem Anblick so merkwürdig benahm und am nächsten Morgen hierher kam, würde es mich interessieren, aus welchem Grund.«
In gewissen Situationen muss man blitzschnell die Strategien wechseln, sagte sich Atreus. Auch das gehört zu den Qualitäten, die man in einer Führungsposition besitzen sollte. »Hollister behauptet, Sie würden seiner verstorbenen Kusine ähneln.«
»Seiner Kusine? Wer war sie?«
»Sie hieß Lady Delphine Hollister und heiratete einen Mann namens Edward Wilcox. Die beiden nannten ihre Kind Brianna.«
»Oh, mein Gott...« Sie griff an ihre Kehle und taumelte nach hinten, nur einen einzigen Schritt, bevor sie sich fasste.
Sofort war Atreus an ihrer Seite. »Tut mir Leid«, entschuldigte er sich in echter Sorge. »Das hätte ich Ihnen vielleicht etwas schonender beibringen müssen. Bitte setzen Sie sich.«
Brianna ließ sich zu einem Sofa führen. Mit sanfter Gewalt drückte er sie in die Polsterung, dann nahm er neben ihr Platz. Er spürte, wie heftig sie zitterte, und das Bedürfnis, sie zu trösten, war unwiderstehlich. In seinen Armen fühlte sie sich unerwartet zerbrechlich an. Sie besaß einen starken Charakter, der zu falschen Rückschlüssen über ihre körperlichen Kräfte verleitete.
Zumindest glaubte er das, bis sie sich aufrichtete und ihn entschlossen wegschob. Nach einem tiefen Atemzug fragte sie: »Wann wollten Sie mir das erzählen?«
»Erzählen...?«
Aus ihren grünen Augen schienen Funken zu sprühen. »Hollister besuchte Sie, weil er mich erkannt hatte. Was mir sechzehn Jahre lang verborgen geblieben war, weiß er. Und er teilte Ihnen mit, wer ich bin. Wann wollten Sie mir das sagen?« In unheilvollem Ton fügte sie hinzu: »Oder hatten Sie es gar nicht vor?«
An den Fensterläden rüttelte ein heftiger Windstoß.
Atreus stand auf und schaute auf sie hinab. »Fordern Sie mich nicht heraus, Brianna!«
Auch sie erhob sich. »Warum nicht? Weil Sie der Vanax sind? Allwissend und allmächtig? Oh nein, Sie haben nicht das Recht, über solche Dinge zu entscheiden.«
»Jedes Recht – und dazu gehört auch meine Verantwortung. Jetzt zügeln Sie Ihren Ärger und setzen Sie sich wieder.«
Immer noch erbost, musterte sie ihn. Wie er ihr zubilligen musste, gewann sie ihre Fassung sehr schnell zurück, weigerte sich jedoch, seinen zweiten Wunsch zu erfüllen. »Ich stehe lieber.«
Diesen kleinen Sieg gestattete er ihr. Aber jetzt war er auf der Hut angesichts ihrer mangelnden Fügsamkeit. Wünschte er sich eine gefügige Frau? Darüber hatte er noch nicht nachgedacht – und einfach angenommen, seine Frau würde seine Autorität
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