Insel meines Herzens
Leben erhält. Du wurdest nicht auf Akora geboren. Deshalb scheinst du es nicht zu verstehen. Das hätte ich nicht für möglich gehalten – aber...«
Bedrückte ihn diese Erkenntnis? Oder verblüffte sie ihn nur? Brianna fand keine Zeit, um darüber nachzudenken, denn in diesem Augenblick hörte sie Schritte in der Eingangshalle und vertraute Stimmen. Sekunden später eilten ihre Freundinnen ins Frühstückszimmer.
»Oh, es ist so kalt!«, klagte Kassandra. Die Wangen gerötet, trat sie ans Feuer und wärmte ihre Hände. »Aber es war wundervoll in der Bond Street. Alle Geschäfte sind weihnachtlich geschmückt. Wärst du bloß mit uns gekommen, Brianna! Aber du hast sehr lange geschlafen, nicht wahr?« Erst wechselte sie einen Blick mit Joanna, dann schauten die beiden Atreus an, der bei ihrer Ankunft aufgestanden war.
Teils liebevoll, teils leicht verunsichert, musterte er die beiden Frauen. »Wenn ihr mich entschuldigen würdet... Demnächst erwarte ich ein paar Kabinettsmitglieder, und vorher würde ich mich gern rasieren.«
Sobald er den Raum verlassen hatte, setzte sich Joanna an Briannas linke Seite und Kassandra an die rechte.
»Hast du ihn nach Hollister gefragt?«, erkundigte sich Joanna scheinbar beiläufig.
»Ja, dieses Thema wurde angeschnitten...«
»Was hat er dir erzählt?«, drängte Kassandra.
Seufzend hob Brianna die Schultern. Sosehr sie das Interesse ihrer Freundinnen auch begrüßte, ihr fehlten die Worte. Hatte sie tatsächlich so freimütig mit Atreus gesprochen – mit dem Vanax? Ihre eigene Kühnheit überraschte sie ebenso wie seine scheinbare Ehrlichkeit. Während der Nacht und bei der letzten Begegnung hatte er nicht den Eindruck eines Mannes erweckt, der um jeden Preis seine Macht behaupten wollte. Ganz im Gegenteil, er erschien ihr viel nachdenklicher und aufrichtiger, als sie sich das vorgestellt hatte.
»Sag uns, was geschehen ist, Brianna«, mahnte Joanna sanft.
Eifrig beugte sich Kassandra vor. »Du hast doch mit Atreus geredet, nicht wahr? Was hat er gesagt?«
»So einfach ist es nicht«, murmelte Brianna. Verwirrt registrierte sie, dass sie soeben eine Redewendung wiederholt hatte, die der Vanax gelegentlich benutzte.
Kapitel 6
W elch ein übergroßes Glück ich empfinde, weil Delphines Kind am Leben geblieben ist, kann ich gar nicht in Worte fassen«, beteuerte William, Earl of Hollister. »In unserer Kindheit und Jugend standen deine Mutter und ich uns so nahe wie Geschwister. Niemals fand ich mich mit ihrem Verschwinden ab. Und ich gab auch nie die Hoffnung auf, sie würde eines Tages zu uns zurückkehren.«
Eine helle Singstimme – dann eine Stimme, die nach ihr rief – die den Lärm übertönte. »Halt dich fest, Bri, halt dich fest!« Eine Stimme, die längst verstummt war...
»So inbrünstig wünsche ich mir, sie wäre bei uns«, gestand Brianna leise.
Sie saßen einander im Salon gegenüber, ein Teetablett mit Tassen und einer üppig bestückten Platte zwischen sich, die sie nicht anrührten. Allein schon der Anblick der Lachssandwiches, Mandelkuchen, Brötchen, Marmeladeschüsselchen und kunstvoll geformten Butterrosetten drohte Briannas Magen umzudrehen. Immer wieder sagte sie sich, ihre Nervosität sei grundlos. Ihr Onkel war freundlich und gütig. Allmählich bedauerte sie ihn, denn er schien ihr Unbehagen zu teilen.
Obwohl er offensichtlich dagegen ankämpfte, spähte er alle paar Sekunden zum Vanax von Akora hinüber. Seit Atreus den Besucher mit Brianna bekannt gemacht hatte, stand er schweigend vor den Fenstern, die zum Garten hinausgingen. Trotzdem beherrschte seine Anwesenheit den Raum. In düsteres Schwarz gekleidet, beobachtete er die beiden.
»Kanntest du meinen Vater, Onkel William?«, fragte Brianna.
Rauschende Luft, als sie emporgeschwungen wurde... Ihr eigenes verdutztes Gelächter... Starke Arme, die sie beschützten ... Längst entschwunden...
»Leider nicht. Aber weil sich Delphine für ihn entschieden hat, muss er ein ehrenwerter Mann gewesen sein. Davon bin ich fest überzeugt.«
Nein, sie würde nicht weinen. So inständig sie sich auch nach jemandem gesehnt hatte, der ihr etwas über ihre Eltern erzählen konnte – sie wollte dieses Treffen würdevoll überstehen. Doch es fiel ihr sehr schwer...
Plötzlich brach Atreus sein Schweigen, setzte sich neben Brianna und schaute sie an. »Ich überlege gerade, ob ich Geschmack am englischen Tee finden werde. Würde es dir etwas ausmachen, die Tassen zu füllen, meine
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