Insel meines Herzens
vor Kummer, und er musste den Impuls bekämpfen, sie wieder zu umarmen. Stattdessen stieß er hervor: »Wie konntest du nur, Brianna? Warum? Helios verachtet die akoranischen Traditionen, die Werte, die im Lauf der Jahrhunderte für unser Wohl gesorgt haben. Dies alles wollen diese Menschen wegwerfen. Und wofür? Weil sie das kindische Ziel einer Freiheit ohne Verantwortung anstreben?«
»Nein – sondern weil sie die Zukunft unseres Landes mitgestalten möchten«, konterte Brianna. » Das ist es, was uns vorschwebt. Zu viel, was auf Akora geschieht, wird rigoros geheim gehalten. Angefangen mit der Wahl des Vanax.«
»Diese Wahl ist ein zutiefst spiritueller Prozess, eng verbunden mit dem innersten Wesen Akoras.« Entsetzt, ungläubig und bitter enttäuscht senkte Atreus den Kopf. Sein Körper bebte vor unterdrückter Leidenschaft. Und sein Herz? Daran wollte er nicht denken. »Du hast keine Ahnung, wovon du redest, Brianna. Wüsstest du Bescheid...«
»Und warum weiß ich nichts?«, unterbrach sie ihn und hielt den Kragen ihres Morgenmantels fest zusammen. »Wieso erfahren so wenige Akoraner, was hinter einer Wahl steckt, die uns alle betrifft? Du beschuldigst die Helios-Anhänger, sie würden kindische Ziele verfolgen. Wann erlauben uns die Eingeweihten, wahrhaft erwachsen zu werden? Du kontrollierst unser Leben...«
»Unsinn – ich diene Akora und allen Akoranern. Wenn du das bestreitest, verstehst du gar nichts!«
»Da hast du sicher Recht, denn das Ritual, bei dem du deine absolute Macht erlangt hast, wird schon viel zu lange von dunklen Geheimnissen umwölkt!«
Atreus ergriff sein Hemd und zog es an, aber er schloss es nicht, viel zu sehr damit beschäftigt, Brianna entgeistert anzustarren. »Darf ich dich daran erinnern, dass unsere Traditionen Akora seit über dreitausend Jahren beschützen?«, fragte er kühl. »Während andere Nationen emporstiegen und untergingen und ganze Völker in den Gräbern der Geschichte versanken? Viel zu oft regierte das Chaos in aller Welt. Ist das die Zukunft, die du dir für unser Königreich wünschst? Sollen auch wir, geschwächt und verletzlich, einer unentrinnbaren Vergänglichkeit zum Opfer fallen?«
»Natürlich nicht! Ich liebe unser Land und will nur sein Bestes!«
»Tatsächlich? Und wer entscheidet, was das Beste ist? Du? Deine Helios-Freunde? Dieselben Leute, die sich einbildeten, sie würden Akoras Zukunft retten, wenn sie sich mit einem Verrückten verschwören? Deilos versuchte, mich zu ermorden und die Macht zu übernehmen.«
»Für ein solches Komplott gibt es keine Beweise! Wie du selbst sagtest, soll den gefangenen Helios-Mitgliedern erst einmal der Prozess gemacht werden. Diesem Gericht wirst du vorsitzen. Du wirst ihr Schicksal bestimmen. Und was du zu beschließen gedenkst, steht bereits fest, nicht wahr? Nennst du das Gerechtigkeit?«
»Sei versichert – ich stelle meine persönlichen Gefühle hintan. Darin liegt die oberste Pflicht eines Vanax. Diese Leute werden in einem gerechten Verfahren zu Wort kommen. Falls sie unschuldig sind, lasse ich sie frei. Sonst müssen sie ihre Strafe verbüßen. Was stört dich daran?«
»Nichts – wenn du die Wahrheit sagst.«
» Wenn? Bezichtigst du mich der Lüge, Brianna?«
»Keineswegs, ich bezweifle nur, dass ein Mann nach einem Anschlag auf sein Leben unvoreingenommen urteilen kann.«
»Ich bin nicht irgendein Mann, sondern der Vanax. «
Nur das Knistern des Feuers durchbrach die Stille. Plötzlich schlugen die Flammen hoch empor, angefacht von einem Windstoß, der an den Fensterläden rüttelte und heulend um die Türme fegte.
Ein Wind, der zuvor nicht geweht hatte – ein Wind, aus dem Schweigen geboren – ein Wind, der wie ein schrilles Klagelied klang...
»Oh nein!« Brianna erblasste. Gepeinigt presste sie die Hände auf ihre Ohren, als wollte sie sich vor dem Geräusch schützen.
»Was zum Teufel...« Atreus eilte zu einem Fenster, das aufgeschwungen war, schloss es, und der Wind schien zu verebben. Langsam ließ Brianna die Hände sinken. Aber sie war immer noch bleich und sichtlich verstört.
Unter anderen Umständen hätte er sie sofort umarmt und getröstet. Doch nach allem, was zwischen ihnen geschehen war, blieb er unbewegt stehen. Aufmerksam, in wachsender Verblüffung, betrachtete er ihr Gesicht. Was empfand sie? Furcht? Fassungsloses Staunen? Vielleicht beides? Warum? Wegen einer harmlosen Bö?
»Was bedrückt dich?«, fragte er.
»Nichts! Alles – du – ich – Helios...«,
Weitere Kostenlose Bücher