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Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Titel: Insel zweier Welten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geraldine Brooks
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Vormund, dein hochgeschätzter Großvater, steht in der Sache voll hinter deinem Bruder. Wenn sich hier also jemand widersetzen sollte – als sein Schulmeister, wohlgemerkt, der deines Bruders Urteilskraft und seine moralische Reife in Frage stellen könnte –, müsste er es immer noch mit deinem Großvater aufnehmen. Die Sache ist die: Ich möchte dich nicht aus der Indentur entlassen, und du willst anscheinend auch nicht aus ihr entlassen werden. Nicht, wenn das bedeutet, dass du diesen Mann ehelichen musst, ungeachtet der Tatsache, dass du selbst ihn als untadelig bezeichnest. Es scheint mir eine verzwickte Sache zu sein, dass du lieber hier als Dienstmagd schuftest, als, wie es dein Bruder darstellt, eine höchst vorteilhafte eheliche Verbindung einzugehen. Doch was weiß ich schon von Frauen und ihren Grillen?«
    Ein Hustenanfall packte ihn. Wie so viele in der Schule litt er bereits den ganzen Winter über unter einem feuchten Husten. Wieder wünschte ich, die richtigen Kräuter für ein schleimlösendes Mittel zur Hand zu haben. Corlett betupfte sich den Mund mit einem Leintüchlein. Ich hatte einige Stoffreste für ihn gesäumt, weil seine eigenen Taschentücher fleckig und fadenscheinig waren. Ich sah, wie er mit dem Finger über die Stelle fuhr, an der ich seine Initialen eingestickt hatte. Als er wieder aufblickte, waren seine Augen blutunterlaufen, wirkten müde und sehr traurig.
    »Dein Bruder hat mir gestanden, dass er die Absicht hat, von der Schule abzugehen, und so wirst du hier deinen Dienst ableisten und damit eine Schuld abzahlen, die über das hinausgeht, was er tatsächlich schuldig ist. Ich weiß sehr wohl, dass du rechtlich an mich gebunden bist, ob er nun dieses Jahr hier abschließt oder nicht. Und ich bin nach dem Gesetz auch nicht verpflichtet, die Indentur jemandem zu verkaufen. Ich möchte deinem Großvater gegenüber nicht unhöflich sein. Andererseits möchte ich dich auch nicht gehen lassen, erst recht nicht, wenn ich sehe, wie unglücklich du bist.«
    Es war deutlich, wie untröstlich er war, und das nicht nur bei dem Gedanken, eine fähige Haushälterin zu verlieren. Er stand wieder auf und kam auf mich zu. »Du bist mir lieb und teuer geworden. Ja, das bist du. In nur sehr kurzer Zeit habe ich das Gefühl gewonnen … unsere Gespräche, sie bringen mir so viel … ich weiß nicht, wie ich es sagen soll … ich meine, ob du dir vorstellen könntest …« Auf einmal wurde er bleich, sein Gesicht nahm fast die Farbe von Kitt an. Er streckte eine seiner altersfleckigen Hände aus und hob mein Kinn an. »Damit will ich sagen …« Seine Fingerkuppen waren verschrumpelt und fleischlos, die lose Haut daran kühl und trocken. »Ich weiß nicht … wie soll ich sagen … wie fändest du denn den Gedanken … mit jemand anderem eine Ehe einzugehen … mit …«
    Ich fuhr auf wie von der Tarantel gestochen und stieß den Hocker dabei um. Corlett war kein großer Mann, und plötzlich standen wir uns Auge in Auge gegenüber.
    »Mit Euch?«, stieß ich hervor.
    Meine heftige Reaktion schien ihn zu erschrecken. Er fuhr sich mit der Hand über den Schädel, durch das schüttere, sandfarbene Haar, das die fleckige Haut seines Kopfes nur noch stellenweise bedeckte.
    »Mit mir? Nein, natürlich nicht. Meine liebe Bethia. Du missverstehst mich. Ich sprach von meinem Sohn. Meinem Sohn Samuel. Du bist Samuel bei der Gemeindeversammlung begegnet. Ja, ganz am Anfang, als du hierherkamst, habe ich ihn dir einmal vorgestellt.«
    Er hatte den Hocker aufgestellt und bedeutete mir, wieder darauf Platz zu nehmen, was ich auch, leicht geistesabwesend, tat. Von dem, was er als Nächstes sagte, kam nur die Hälfte bei mir an, denn ich war insgeheim damit beschäftigt, mir das Bild von Samuel Corlett ins Gedächtnis zu rufen, Lehrbeauftragter am Harvard College, den ich bislang nur als ernsten Begleiter seines Vaters bei der Gemeindeversammlung und eher weniger ernsten, lebhaften Zeitgenossen in wallendem Talar gesehen hatte, wie er mit dem ein oder anderen Studenten, dessen Tutor er war, über den Innenhof des College schritt. Unsere Schule besuchte er nie, weil er abends Verpflichtungen am College hatte. Doch ich wusste, dass der Master an den Tagen des Herrn gern einige Zeit auf Besuch in den Räumlichkeiten seines Sohnes am College verbrachte.
    Der Master fragte mich nach meinem Alter. Ich nahm meinen streunenden Geist an die Zügel und gab ihm zur Antwort: »Im Oktober werde ich achtzehn, Herr.«
    »Er ist

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