Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
fragte mich, ob ich denn bereits eine Entscheidung darüber getroffen hätte, was ich hinterher tun wolle. »So sehr ich auf dich baue, Bethia, verlange ich nicht von dir, hierzubleiben, jetzt, wo dein Bruder weg ist. Diese Position wäre unter deiner Würde. Das war sie immer schon, und ich weiß, dass du dich nur aus schwesterlicher Pflicht und warmer Zuneigung darauf eingelassen hast.«
Bei der letzten Bemerkung musste ich mir ein Schmunzeln verkneifen, denn ich wollte den Master weder kränken noch vor den Kopf stoßen. Doch er war bereits wieder auf einem seiner weit verzweigten Gedankenpfade unterwegs und schien meine etwas ungebührliche Reaktion nicht bemerkt zu haben. »Ein Jammer, dass dein Bruder so entschieden hat. Ich denke, er hätte durchaus … aber nun ist es, wie es ist. Er ist weg, und du bist noch da. Gänzlich unpassend. Und dann ist natürlich auch, recht unerwartet, jenes unglückliche Mädchen, Anne, fort, obwohl natürlich …« Als er ihren Namen sagte, schaute er mich etwas seltsam an, doch in diesem Moment hatte er einen Hustenanfall, und bis er sich wieder beruhigt hatte, brachte er den eben angefangenen Gedanken nicht mehr zu Ende und ließ das Thema Anne ganz fallen. »Natürlich werden sich nächste Woche die beiden anderen, Caleb und Joel, immatrikulieren …«
Er musste meine Überraschung ob der Gewissheit bemerkt haben, mit der er dies gesagt hatte, denn jetzt schaute er mir direkt ins Gesicht und erklärte: »O ja – ich habe überhaupt keinen Zweifel daran. Von mir sind noch keine Schüler besser vorbereitet vor den Präsidenten des College getreten als sie. Sie werden sich immatrikulieren und danach ihre Räume am Indian College beziehen. Ich habe dem Haushofmeister bereits gesagt, er möge sich darum kümmern, dass ein Raum so eingerichtet ist, dass sie ihn beziehen können, und Präsident Chauncy habe ich gebeten, für sie einen Tutor zu bestimmen. Natürlich ist er immer noch skeptisch, was ihre Fähigkeiten angeht, und hat nichts dergleichen getan, so sehr ich ihn dränge. Weißt du, was er gesagt hat, Bethia? Besonders du wirst das kaum glauben. Er sagte, er habe an die ›Gesellschaft für die Verbreitung des Evangeliums‹ geschrieben, um denen noch mehr Geld zu entlocken, denn, wie er behauptet, müsse er einem Tutor für sie mehr Gehalt zahlen als den Tutoren der englischen Studenten. Als ich ihn nach den Gründen fragte, sagte er, man müsse ihnen einen Anreiz bieten, da sie es mit solch ungezähmten Wilden zu tun hätten, die einfach mehr Fürsorge und einer sorgfältigeren Betreuung bedürften. Ungezähmte Wilde – dass ich nicht lache!«
»Was habt Ihr ihm geantwortet?«
»Ich habe ihm gesagt, was er gar nicht gerne hören wollte: dass diese Jungen zu den Fähigsten gehören, die wir je hatten, und dass man ihnen eher weniger Betreuung angedeihen lassen müsse als mehr. Weißt du, Bethia, ich glaube, im Grunde kann er eigentlich gar nicht so blind sein, wie es scheint. Doch seit er hierherkam und gemerkt hat, wie viel Geld aus der Gesellschaft herauszubekommen ist – wohlgemerkt, damals waren noch weit und breit keine indianischen Studenten in Sicht –, hält er das ganze Unternehmen für eine Art Milchkuh. Er denkt immer nur daran, welchen Nutzen er aus diesen jungen Leuten ziehen kann, und nicht, was er ihnen geben könnte. Doch das wird sich bestimmt ändern, wenn er sie erst einmal kennenlernt …
Jedenfalls, worauf ich hinauswollte, ist, wenn Caleb und Joel erst einmal fort sind, dann bleiben nur noch die jungen Nipmucs hier wohnen, die selbst für eine ängstliche Frau aus Cambridge nicht allzu furchteinflößend sein dürften. Mit dem Geld, das der junge Merry für deine Indentur bezahlt hat – eine überaus großzügige Summe, muss ich sagen –, könnte ich einer Haushälterin, die nicht hier wohnen müsste, ein durchaus anständiges Salär bezahlen … aber langer Rede kurzer Sinn, natürlich sollst du, meine Liebe, dich vollkommen frei fühlen, auf deine geliebte Insel zurückzukehren und deinem lieben Bruder den Haushalt zu führen.«
Ich rutschte auf meinem Stuhl herum. »Herr, das habe ich gar nicht vor. Zumindest nicht im Moment.«
Seine wässrigen Augen unter den buschigen Augenbrauen, die so wild wucherten wie eine ungemähte Wiese, waren auf mich gerichtet. »Was sagt dein Großvater dazu?«
»Es ist ihm gleichgültig.« Das stimmte. Ich hatte Großvater geschrieben und ihn um Erlaubnis gebeten, in Cambridge bleiben zu dürfen, und in
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