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Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Titel: Insel zweier Welten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geraldine Brooks
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nach dem Beten Präsident Chauncys Vorlesung zu hören. Begreift Ihr? Ich würde von jenen Vorlesungen profitieren können – ich kann gar nicht anders, als sie mir anzuhören, während ich das Essen zubereite. Meine Hände werden mit praktischen Dingen beschäftigt sein – doch mein Geist … mein Geist wird frei sein. Drei Stunden, jeden Morgen. Und am Nachmittag, wenn die Erstsemester mit ihren Tutoren zusammen sind, könnte ich vielleicht den gelehrten Disputen der höheren Semester lauschen, die der Präsident leitet.« Ich spürte, wie mein Gesicht glühte, so groß war die Vorfreude auf das, was mich dort erwartete. Doch das Gesicht des Masters war streng. Er schüttelte den Kopf.
    »Das ist doch sehr unklug, meine Liebe. Überaus töricht. Diese Vorlesungen sind nicht für die ungebildeten Hirne des schönen Geschlechts gedacht. Wozu soll eine Ehefrau und Mutter sich ihren Kopf mit den sieben Künsten und den drei Philosophien zermartern? Sei auf der Hut, sonst wirst du dich so lange quälen, bis du ein missgebildetes, fehlgeleitetes Wesen bist …«
    »Aber Ihr habt hier doch den jungen Dudley unterrichtet. Dann kennt Ihr doch auch seine Schwester, Mistress Bradstreet. Gewiss würdet Ihr doch ihren Verstand nicht als missgebildet bezeichnen, bei all den Kenntnissen, die sie hat …«
    »Nun, sie …«, sprudelte er heraus und musste wieder husten. »Ich hatte dabei eine andere Anne im Sinne, eine, deren Schicksal du gewiss nicht erleiden wolltest. Die berüchtigte Mistress Hutchinson. Exil, eine grässliche Geburt, dann von Wilden skalpiert …«
    Ich beugte mich vor, weil ich auf einmal darauf brannte, den Sieg davonzutragen. »Master Corlett, ich fürchte, hier zäumt Ihr das Pferd von hinten auf. Mistress Hutchinson zog genau gegen jene Bildung ins Feld, nach der ich mich sehne. Ihr ketzerisches Denken brachte sie zu der Überzeugung, Wissen komme zu ihr als direkte Offenbarung Gottes. Sie verachtete die geistlichen Gelehrten und verunglimpfte genau das hart erkämpfte Buchwissen, das zu vermitteln sich das Harvard College zur Aufgabe gemacht hat. Es gibt Leute, die sagen, dass hier nie ein College gegründet worden wäre, wenn ihr Denken die Oberhand gewonnen hätte …«
    Plötzlich saß Master Corlett ganz aufrecht in seinem Stuhl. »Wie kann dir ihr Fall so vertraut sein? Die Frau war doch gewiss tot und stand längst vor ihrem höchsten Richter, als du auf die Welt kamst.«
    »Aber ihre Worte leben«, sagte ich. Ich spürte, wie nervös ich war, denn ich hatte zu spät begriffen, dass es besser gewesen wäre, ihm nicht mein Herz zu öffnen. Er verstand mich auch nicht besser, als Vater mich verstanden hatte. Mein Vater hatte mich aufrichtig geliebt und auch Master Corlett war mir, wie ich glaubte, von ganzem Herzen zugetan. Beide waren studierte Männer, die ihre Lebensaufgabe darin gefunden hatten, andere zu unterrichten. Warum dann nicht mich? Warum nur wollten sie mich in den Kerker meiner Unwissenheit sperren? Warum war es in ihren Augen ein so großer Fehler zu lieben, was auch sie liebten? Würde sich Samuel am Ende auch als ein solcher Mensch entpuppen? Würde auch er versuchen, meinem Verstand Scheuklappen anzulegen und meine Zunge zu zügeln? Wieder einmal hatte ich zu offen gesprochen. Offenbar war ich zu töricht, um die einfache Lektion zu lernen: dass das Schweigen für eine Frau der sicherste Hafen ist.
    »Worte? Was für Worte? Ich habe nie gehört, dass Miss Hutchinson ihre ketzerischen Gedanken zu Papier gebracht hätte.« Ich gab ihm keine Antwort. Zu spät war mir bewusst geworden, dass es alles andere als angebracht für mich war, über ein berüchtigtes Beispiel weiblicher Unverblümtheit zu sprechen.
    Doch jetzt bedrängte er mich. Hier trotzig zu schweigen hätte alles nur noch schlimmer gemacht. »Von welchen Worten sprichst du? Sag es mir!«
    »Von ihren Worten vor Gericht, Master.« Großvater hatte den Fall oft als wichtigen Baustein für seine eigene Entscheidung, die Insel zu verlassen, bezeichnet und gesagt, er wolle sich dem rigiden Regiment von Menschen entziehen, die es fertiggebracht hatten, eine Schwangere mitten im Winter in die eisige Wildnis hinauszuschicken, mit neun Kindern im Schlepptau.
    »Willst du mir damit sagen, dass du ihre Zeugenaussage vor dem Gerichtshof gelesen hast?«
    Ich nickte.
    »Wie kam es dazu?« Der Master sah bestürzt aus. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, was eine solch heftige Reaktion in ihm heraufbeschworen haben mochte.
    »Sie

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