Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Titel: Insel zweier Welten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geraldine Brooks
Vom Netzwerk:
der Diaspora, dunkelhäutige Muselmanen, Mönche mit Tonsur und einem Strick als Gürtel um ihre Kutten. Am Freitag, bei Sonnenuntergang, hörten wir oft den hebräischen Singsang von der nahe gelegenen Synagoge und sahen die Männer nach dem Gottesdienst mit ihren gestreiften Seidenmänteln und den flachen Pelzhüten herausströmen. An Festtagen schauten wir fasziniert die Prozessionen der Papisten an, wenn sie ihre vergoldeten, mit Blumen geschmückten Monstranzen durch die Straßen trugen. Irgendwann begann sogar Samuel sich zu fragen, ob denn unsere strenge Form des Glaubens wirklich der einzige Weg der Frömmigkeit war.
    Im Jahre 1664 kehrten wir nach Cambridge zurück. Samuels Vater hatte uns darum gebeten. Seine Gesundheit war angegriffen, und er brauchte seinen Sohn, um die Schule zu leiten, ehe ein passender Nachfolger gefunden war. Ich war die ganze Reise über seekrank. Als wir bei strömendem Regen in Boston anlegten, hätte ich am liebsten niedergekniet und den Boden geküsst, nicht weil mir Boston so viel bedeutete, sondern weil es wirklich fester Boden war, den wir unter den Füßen hatten, und nicht der wogende Ozean. Als ich am nächsten Morgen dennoch wieder krank war, schaute mich Samuel seltsam an und stellte mir die Frage, die ich mir selber schon seit Wochen hätte stellen können, wäre ich nicht auf See zu krank gewesen, um klar nachzudenken. Wir hatten uns nach zwei Jahren Ehe langsam mit der Möglichkeit abgefunden, dass Gott uns nicht mit Nachwuchs segnen würde. Doch an jenem Tag wurde mir klar, dass ich guter Hoffnung war. Über die Geburt möchte ich nichts schreiben, nur, dass ich sie bloß knapp überlebt habe. Der kleine Junge sollte unser einziges Kind bleiben, denn obwohl es Samuel und der Hebamme mit vereinten Kräften gelang, mein Leben zu retten, gaben sie mir zu verstehen, dass eine weitere Schwangerschaft nicht ratsam sei. So wählten wir einen Namen aus der Bibel, wo es bei Hosea heißt: Nennt eure Brüder Ammi (mein Volk) und eure Schwestern Ruhama (Erbarmen ). Und so ist aus ihm ein starker und zugleich zärtlicher Mann geworden. Er lebt jetzt bei uns – ich sollte besser sagen, wir bei ihm –, denn obwohl Samuel immer noch viel Lebenskraft hat und gelegentlich auch zu chirurgischen Eingriffen gerufen wird, sind es Ammi Ruhama und seine Frau Elizabeth, die in diesem Hause das Sagen haben. Sie haben es für uns alle zum sicheren Hafen gemacht, sowohl für unsere ungestümen Enkelkinder als auch für uns gebrechliche Alte.
    Doch ich greife vor. Ich war noch nicht lange aus dem von Sorgen geplagten Kindbett aufgestanden, und Ammi Ruhama war noch ein Säugling in meinen Armen, als wir an einem warmen Junimorgen des Jahres 1665 die Aula des College betraten, um Joel und Caleb zu lauschen, die beide am Ende ihres letzten Studienjahrs zusammen mit ihren Kommilitonen ihre Disputation abhielten. Sechs Tage lang mussten die Abschlusskandidaten in der Aula sitzen und sich den Fragen all derjenigen stellen, die den entsprechenden Titel bereits besaßen oder zu den Mitgliedern des Aufsichtskomitees des College gehörten, die mit ihrer Prüfung betraut waren. Einer nach dem anderen reisten zu diesem Behufe die angesehensten Männer der Kolonie an, so wie sie es jedes Jahr um diese Zeit taten, um das Wissen der Abschlussklasse auf die Probe zu stellen.
    Calebs Aussehen machte mir Sorgen. Er war bis auf die Knochen abgemagert und litt unter einem beharrlichen, starken Husten. In den Jahren meiner Abwesenheit hatte seine Gesundheit durch mangelnde Ernährung und allzu große Hingabe an sein Studium offenbar deutlich gelitten. Dennoch sah sein Gesicht, das nun eher zurückhaltend und angespannt wirkte, noch immer gut aus, und während er auf Latein mit einem der Männer vom Aufsichtskomitee diskutierte, wurde es für kurze Zeit lebendig und ließ mich seine Ausgezehrtheit vergessen. Auch wenn seine Kenntnisse in jener Sprache die meinen bei weitem überschritten, wusste ich genug, um beurteilen zu können, wie redegewandt er geworden war, und dass er ein jedes seiner Argumente mit nützlichen Epigrammen und Zitaten von Ramus und Aristoteles untermauerte. Seine Begabung war nur das Erz gewesen, das unter der herausragenden Schulung durch den besten Gelehrten der Kolonie zu feinstem Stahl geschmiedet worden war.
    So eindrucksvoll Calebs Disputation auch verlief, galt das Geflüster in der Aula an diesem Tage doch Joel. Es ging das Gerücht, dass Joel bei der bevorstehenden Abschlussfeier zum

Weitere Kostenlose Bücher