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Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Titel: Insel zweier Welten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geraldine Brooks
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gehalten hätte, die sich aber, wenn er mir etwas davon gab, als durchaus schmackhaft erwies.
    Je genauer ich die Insel und ihre Pflanzen kennenlernte, desto vertrauter wurde mir mein Führer, auch wenn dieses langsamer vonstatten ging als jenes. Es dauerte viele Wochen, bis er mir überhaupt seinen Namen nannte, was in seinem Volk als große Vertraulichkeit gilt. Und als er ihn mir schließlich verriet, begriff ich auch, warum sein Volk so empfindet. Denn mit dem Namen geht eine Vorstellung davon einher, wer jemand wirklich ist, und mit diesem Wissen kam auch das Gift der Versuchung, das schon bald mein Blut in Wallung bringen sollte.

IV
    In jenem Sommer stahlen wir, vielleicht ja wegen des harten Winters, der ihm vorausgegangen war, zum ersten Mal einen abgetriebenen Wal. Wir hatten es uns zur Angewohnheit gemacht, uns diejenigen Wale anzueignen, die im Hafen angespült wurden oder zumindest so nahe ans Land kamen, dass unsere Männer sie an unseren Strand treiben konnten. Auf diese Weise kamen wir pro Saison zu zwei bis drei Walen. Alle Familien wurden herbeigerufen – die Männer, um das Tier von den Booten aus an den Strand zu jagen und es dann dort zu schlachten, und die Frauen, um die Töpfe aufs Feuer zu setzen und den Tran auszulassen. Ich mochte diese Arbeit überhaupt nicht, was jedoch nicht nur an der rußgeschwärzten, tranigen Luft lag. Es ist nämlich eine Sache, ein Reh mit einem flinken Pfeilschuss oder einer knallenden Muskete zu erlegen, oder einem Huhn den Hals umzudrehen. Das habe ich schon oft genug getan und das Tier auf diese Weise rasch und unversehens in den Tod befördert. Doch der Wal lebte im Allgemeinen noch, wenn man bereits anfing, ihn zu zerlegen, und sein Auge, das so sehr dem menschlichen ähnelt, wanderte von einem zum anderen, als flehe er uns um Gnade an. Dann hätte ich diesem Gottesgeschöpf gerne gesagt, dass Barmherzigkeit einen hohen Preis hat, wenn man aus dem Speck eines solchen Leviathans fast achtzig Fässer Tran gewinnen und ein ganzes Dorf durch einen langen dunklen Winter bringen kann, ohne sich mit dem Schlagen von Kiefernholz aufhalten oder den ranzigen Gestank verbrennenden Dorschlebertrans ertragen zu müssen.
    Dem allgemeinen Verständnis nach gehörten die Wale, die an die anderen Strände gespült wurden, den Wampanoag, die glaubten, ein guter Geist habe sie ihnen für ihre besonderen Zwecke geschenkt. Die Indianer nutzten noch mehr als wir jeden Bestandteil des Tieres, hielten das Fleisch für eine große Delikatesse und nahmen das Ganze zum Anlass für ein großes Festessen, wobei die gerechte Verteilung unter den Stammesangehörigen nach genauen Regeln vonstatten ging. An diesem Tag hatte unser Nachbar Nortown, der in seiner Schaluppe auf Fischzug vor der Küste war, einen Wal gesichtet, der wahrscheinlich unten bei den Klippen, die wir Gay Head nannten, stranden würde. Nortown sagte, er habe erfahren, die Wampanoag dieser Gegend seien auf Nomin’s Island unterwegs, zusammen mit ihrem sonquem Tecquanomin und ihrem pawaaw, um dort mehrere Tage lang irgendwelche heidnischen Tänze und Rituale zu vollziehen. In diesem Fall, argumentierte er, würden sie es gar nicht merken, wenn wir uns des Wales annähmen. Er ging von Haus zu Haus und versuchte Zustimmung zu seinem Plan zu erheischen, und war, bis er zu uns kam, auch recht erfolgreich gewesen. Vater war einige Tage zuvor mit Peter Folger auf unsere Schwesterinsel Nantucket gefahren, um für Großvater einige geschäftliche Dinge zu erledigen, und Mutter war bei Tante Hannah, die krank zu Bette lag, um sich um sie und die Kinder zu kümmern. Ich war mir sicher, Vater wäre gegen Nortowns Plan gewesen, doch Makepeace hatte nichts daran auszusetzen und war sofort bereit, sich den anderen Männern anzuschließen. »Bethia, du kommst auch mit, hilfst an den Trantöpfen und machst mir etwas zu essen«, sagte er. Mein ganzes Leben lang hatte man mir gesagt, es stehe mir nicht zu, ihm Widerworte zu geben, doch während ich eilig das einpackte, was wir für eine Nacht am offenen Strand benötigen würden, und auch später, als sich unser Boot inmitten jener kleinen Diebesflotte auf dem Weg die Küste hinauf befand, machte sich eine große Bedrückung in mir breit, jenes Gefühl, das einen befällt, wenn man weiß, dass man in einen Akt der Habgier und der Heimtücke verwickelt ist.
    Bis wir die Klippen erreicht hatten, war der Wal tatsächlich gestrandet. Es war ein riesiges weibliches Tier, hell und glänzend, ein

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