Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
und klar, dass mein Schatten deutlich auf dem Boden zu erkennen war.
Die Feuer loderten hoch in den nächtlichen Himmel empor, und die Musik war wilder geworden. Der animalische Teil meiner Seele reagierte darauf. Wenn ich mich heute an jene Nacht erinnere, kann ich nicht mehr sagen, was damals genau in mir vorging. Ich weiß nur noch, dass das Trommeln mich tief in meinem Inneren berührte, an einem Ort, den ich noch nie erkundet hatte. Dort im Dunkeln, ohne zu wissen, was ich genau vorhatte, begann ich meine Ärmel aufzuschnüren. Die warme Luft umfächelte zärtlich meine Haut. Ich ließ auch meine Wollhose fallen und stand da, mit bloßen Armen und Beinen, wie die Wampanoag-Frauen in ihren kurzen Lederkleidchen. Meine Zehen bohrten sich in die sandige, kühlende Erde, und mein Herz schlug im Takt mit den Trommeln. Meine innerste, auf Frömmigkeit geschulte Seele schien meinem Körper wie in großen, tiefen Atemzügen zu entweichen, während ich begann, mich zu den Klängen der Musik zu bewegen. Ganz allmählich fanden meine Glieder in den Rhythmus. Ich hörte auf zu denken, und etwas in mir, das von einem Tier zu stammen schien, gewann die Oberhand, trieb mich an, bis ich am Ende voller Hingabe tanzte. Wenn mich Satan in jener Nacht in der Hand hatte, dann muss ich eines gestehen: Mir war seine Berührung willkommen.
Bei Morgengrauen musste man mich wachrütteln. Im ersten Moment konnte ich mich nicht erinnern, wie ich den Weg zurück zum Lager gefunden hatte, und mich überlief eine heiße Welle der Furcht, ich könnte nur unzulänglich bekleidet sein. Doch irgendwie hatte ich in meinem ekstatischen Tanz meine abgelegten Kleider gefunden und sie wieder angezogen. Ich stand auf und machte mich mit den anderen daran, die Spuren unseres Diebstahls zu verwischen, indem wir die Überreste des entfleischten Gerippes in die Brandung zogen, den blutbefleckten und vom Feuer geschwärzten Sand mit Eimern voller Meerwasser tränkten und hofften, die Flut würde den Rest erledigen.
Während unserer langen Heimfahrt in der mit Waltran beladenen Schaluppe schimpfte mich Makepeace für meine Gedankenlosigkeit, meine Tollpatschigkeit und mein mangelndes Pflichtgefühl, doch ich hörte nur die Hälfte von dem, was er sagte. In Gedanken war ich noch immer in jenem Kreis bei den Klippen.
V
Er war der jüngere Sohn von Nahnoso, dem sonquem , oder Häuptling, von Nobnocket, und sein Name lautete Cheeshahteaumauk. In seiner Sprache bedeutet das so etwas wie: »der Gehasste«. Als er mir das erzählte, glaubte ich zuerst, meine begrenzten Kenntnisse in seiner Sprache ließen mich im Stich, denn aus welchem Grund sollten Leute ihr Kind so nennen? Doch als ich fragte, ob sein Vater ihn denn wirklich gehasst habe, lachte er mich aus. Namen, sagte er, flössen in einen hinein, so wie man ein Glas Wasser trinkt. Sie blieben ein Jahr oder auch nur eine Jahreszeit, und dann würden sie durch einen anderen, passenderen ersetzt. Wer konnte schon sagen, wie sein derzeitiger Name ihm zugefallen war? Vielleicht hatte ja sein Namensgeber den Teufelsgott Cheepi täuschen und dafür sorgen wollen, dass dieser ihn in Ruhe ließ, indem er ihn glauben machte, er sei ungeliebt. Oder der Name war ihm doch aus gutem Grund zugefallen. Ich hätte ihn damals allein auf der Jagd angetroffen, rief er mir ins Gedächtnis, obwohl es doch die Gepflogenheit seines Stammes sei, gemeinsam zu jagen. In einer Gruppe, die das Gemeinwohl über alles stellte, war er aus freien Stücken chuppi , also ein Außenseiter. Während seine Stammesbrüder sich bei Morgengrauen auf den Weg machten, tat er dies erst bei Sonnenuntergang. So war es schon immer, solange er sich erinnern konnte. Zu einer Zeit, als die meisten Kinder noch von ihrer Mutter gestillt wurden, hatte er sich selbst von der Muttermilch entwöhnt und von den Frauen getrennt, um Tequamuck, dem Bruder seiner Mutter zu folgen, der ihr pawaaw, ihr Medizinmann, war. Oft hatte er sich unter Matten oder im Dickicht versteckt, um den Beschwörungen zu lauschen und Zeuge der Tänze zu werden. Zuerst, sagte er, hätten die Älteren des Stammes ihn wegen seines Mangels an Respekt gerügt, und vielleicht stammte ja auch sein Name aus dieser Zeit. Doch irgendwann hatte Tequamuck seine Meinung geändert und gesagt, ein solches Gebaren sage seine Bestimmung voraus, und er würde dereinst pawaaw werden. Und so war er irgendwann in den wetu seines Onkels umgezogen, während sein Bruder Nanaakomin ihrem Vater nicht von der
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