Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
Lichtung hinabführte und auf dem ich binnen kurzem voll zu sehen gewesen wäre, und schlich stattdessen durch das dichte Heidekraut vorwärts, das mir Deckung geben konnte, falls einer der Tanzenden zufällig nach oben blickte. Schon bald war ich nahe genug, um einige Worte des Liedes verstehen zu können. Der pawaaw rief darin seine Götter an, er lobpreiste sie, dankte ihnen, flehte sie an. Die Trommeln schlugen derweil im Takt meines Herzens, das mit der Musik anzuschwellen schien. Ich spürte, wie meine Seele zu summen und zu beben begann, so nahe ging mir das flehentliche Gebet. Darin war so viel Kraft, eine Kraft, die direkt aus der Seele zu kommen schien und mich tief in meinem Herzen berührte. Nach diesem Gefühl hatte ich mich gesehnt, Woche für Woche, als die folgsame und pflichtbewusste Tochter des Pfarrers bei der Gemeindeversammlung am Tage des Herrn. Doch nie hatten unsere strengen Gottesdienste meine Seele so sehr aufgewühlt wie dieses Lied eines Heiden.
Du sollst keine anderen Götter neben mir haben. So hatte man es mir mein ganzes Leben eingetrichtert. Und doch waren es ausgerechnet diese fremden Götter, die ich mit der gleichen Inbrunst anflehen wollte wie der pawaaw. Die Zeit hielt inne in ihrem ewig vorwärtsstrebenden Marsch, während ich dort in dem Unterholz hockte und mich im Takt der Trommel wiegte. Schließlich warf ich den Kopf in den Nacken und ließ die Luft, die meinem Körper entwich, für mich sprechen, ein Seufzer der Hingabe an eine unbekannte Macht und an ihre Schönheit − mein Atem, der sich zu den Gebeten gesellte, die den weiten Himmel erfüllten. Als das getan war, spürte ich, dass die Schwere des Tages sich von mir hob wie ein niederdrückendes Gewicht.
Nachdem der pawaaw sein Gebet beendet hatte, wollte ich eigentlich gehen. Doch es folgten weitere Lieder und Tänze, und so blieb ich dort, um ihnen zu lauschen und sie zu beobachten. Eine Weile tanzten die jungen Männern in wilden Sprüngen und schwenkten dabei polierte Kriegsbeile, als wollten sie eine Schlacht darstellen. Dann kamen die Frauen, junge und alte zusammen, ihre gewebten Decken über die Schultern gelegt. Eine Weile standen sie da, die Hände vor sich ausgestreckt, sodass die Decken sie ganz verbargen. Sie sahen aus wie eine Schar brütender Vögel. Plötzlich, als habe jemand ein unsichtbares Signal gegeben, begannen sie sich zur Musik zu bewegen. Mein ganzes Leben lang hatte man mir gepredigt, dass Tanzen Teufelswerk sei. Nur Huren, die Töchter Salomons, tanzten, so hatte es zumindest immer geheißen. Doch an diesem Tanz hier war nichts Lüsternes oder Liederliches. Die Bewegungen der Frauen waren gemessen, würdevoll und von großer Anmut.
Viel später, als ich mich an den Strand zurückschlich, mit aufgeschürfter Haut, Laufmaschen in meiner gestrickten Kniehose, einem Riss im Wams und Farnkraut in den Haaren, war Makepeace’ Gesicht verzerrt vor Sorge und Wut. Ich dachte mir rasch eine Lüge aus, ich sei beim Holzsuchen gestürzt und habe mir den Kopf angeschlagen.
Die anderen Frauen waren besorgt und hießen mich, mich auf den Boden zu legen, während die Dunkelheit hereinbrach und sie die Feuer anzündeten, um den Walspeck auszulassen. Doch ich lag noch Stunden wach, als der Tran längst mit Kellen in die Fässer geschöpft war und sich alle müde zur Ruhe begeben hatten. Meine Gedanken schweiften in weite Ferne. Unfähig, auf dem Sand eine bequeme Haltung zu finden, warf ich mich hin und her. Das Verhalten all der andern um mich herum ekelte mich an, unsere Niedertracht, die uns dazu verleitete, zu stehlen und zu betrügen, obwohl wir uns doch mit unserer göttlichen Überlegenheit brüsteten und damit prahlten. Macht euch die Erde untertan. So stand es in der Bibel, und das hatten wir auch getan. Doch ich konnte einfach nicht glauben, dass Gott damit gemeint hatte, wir sollten so gedankenlos mit seiner Schöpfung umgehen, wie wir das taten, so mutwillig und grausam all den Kreaturen gegenüber, über die er uns die Herrschaft geschenkt hatte.
Ich wusste, dass ich kein Auge zutun würde. Als das Schnarchen der Männer mit der Meeresbrandung und dem rhythmischen Kullern der Steine in Wettstreit zu treten begann, stand ich auf, vergewisserte mich, dass niemand sich rührte, und machte mich erneut auf den Weg über die Dünen. Kaum hatte ich mich von unserem Lager entfernt, kehrte ich auf den Pfad zurück, der zu den ringförmigen Klippen führte, und folgte ihm. Der Mond leuchtete so hell
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