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Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Titel: Insel zweier Welten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geraldine Brooks
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war ich unfähig, mit jemand anderem Freundschaft zu schließen. Das einzige Mädchen meines Alters, mit dem ich mich hätte anfreunden können, gehörte zu den Aldens, der Familie, mit der wir Mayfields in der Siedlung über Kreuz waren, und mit einem der wenigen englischen Burschen meines Alters eine kameradschaftliche Beziehung, welcher Art auch immer, einzugehen, wäre wiederum ein undenkbarer Verstoß gegen den Anstand gewesen. Doch mit diesem Jungen war alles ganz anders. Er war schon bald mehr zu einem Bruder geworden als Makepeace, dessen Sorge um mein züchtiges Verhalten ihn streng und unnahbar gemacht hatte. Ich hatte gelernt, von Makepeace keine anderen Äußerungen zu erwarten als Anweisungen oder Tadel. Scherze oder spielerisches Geplänkel, die unsere Herzen einander geöffnet hätten, waren zwischen uns undenkbar.
    Was mich antrieb, diesem wilden Jungen zu folgen, war zu Beginn sein Wissen über die Insel – sein tiefes Verständnis für alles, was blühte, was Flossen oder Flügel hatte. Doch schon bald war in mir auch die Neugier auf eine ungezähmte Seele entfacht worden, und auch das wurde für mich zu einem Grund, seine Nähe zu suchen. Doch eigentlich waren es sein frohes Gemüt und sein Lachen, die mich mit der Zeit an ihn banden, und ich vergaß allmählich, dass es sich bei ihm um einen halbnackten, nach Sassafrasöl duftenden Heiden handelte, der sich mit Waschbärenfett einrieb. Kurzum: Er wurde mein allerliebster Freund.
    Und doch sagte ich niemandem etwas davon, nicht einmal mir selbst gestand ich es ein. Ich wusste, dass ich damit andere täuschte, doch der Grad meines Selbstbetrugs trat für mich erst viel später zutage. Ich trug Sorge dafür, dass niemand uns zusammen sah, verzichtete sogar darauf, ihn zu treffen, wenn auch nur die geringste Gefahr bestand, dass uns jemand über den Weg laufen könnte. Auch die Streifen Wildbrets, die er mir anbot, wenn er ein Reh getötet und ausgenommen hatte, nahm ich nicht mit nach Hause, weil ich nicht hätte erklären können, woher ich sie hatte. Doch ich aß mit ihm von einer gebratenen Keule, und es war köstlich. An einem anderen Tag führte er mich zu den Dünen, wo es reife Strandpflaumen in Hülle und Fülle gab, und während ich sie pflückte, watete er ins Meer hinaus, den Speer in der Hand, um seine Fischfallen zu inspizieren, und kehrte mit einem schönen Barsch zurück, der sich in seinen Händen wand. Ich hörte, wie er dem Fisch für sein Leben dankte, während er ihm mit einem schnellen Schlag in den Nacken ein Ende bereitete. Etwas Derartiges wäre mir nie in den Sinn gekommen, und an jenem Tag empfand ich es auch, wenn ich mich recht erinnere, als sehr befremdlich. Er sagte, wir würden den Fisch essen, und als ich einwarf, es sei doch gar keine Essenszeit, lachte er und meinte, er habe bereits gehört, dass die Engländer eine Glocke bräuchten, die ihnen sagte, wann sie hungrig seien. Doch noch während er mich damit aufzog, merkte ich, dass ich einen Bärenhunger hatte. Und so sammelten wir ein paar Späne und etwas Treibholz für ein Feuer; er benutzte seinen Feuerstein, um die Flammen zu entfachen. Dann spießten wir das Fleisch des Fisches auf Zweige und rösteten es über dem Feuer, ein saftiges Stück nach dem anderen. Ich aß, bis ich satt war. Später, zu Hause bei Tisch, lobte mich meine Mutter für meine Zurückhaltung, und mein Vater tönte: »Sohn, dir würde es nicht schaden, deiner Schwester nachzueifern.« Makepeace war dem Essen allzu sehr zugetan und kämpfte gegen die Sünde der Völlerei. Ich errötete, dachte schuldbewusst an meinen vollen Magen, doch die Augen meiner Mutter lächelten mich an, weil sie mein Erröten fälschlicherweise für ein Zeichen der Bescheidenheit, ähnlich der ihren, hielt; eine schöne Eigenschaft, die ich in Wirklichkeit gar nicht besaß.
    Tag für Tag wuchsen meine Kenntnisse über die Insel, während wir von einem bemerkenswerten Punkt zum nächsten streiften, einer schöner oder üppiger als der andere. Für ihn schien jede Pflanze einen Nutzen zu haben, ob man sie nun essen konnte oder als Medizin benutzte, zum Färben oder Weben. Oft schlug er die Früchte des Essigbaums von den Stielen, tauchte sie in Wasser und bereitete so ein erfrischendes Getränk zu, oder er pflückte verschiedene Sorten Nüsse, deren weißes Inneres lecker und cremig schmeckte. Fast immer kaute er auf irgendeinem frischen, grünen Blatt von einer Pflanze, die ich sehr wahrscheinlich für Unkraut

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