Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
schien es, andere für mich treffen. Wenn ich darüber nachdachte, spürte ich Wut in mir aufglimmen; wie ein winziges glühendes Kohlestückchen, aus dem eine heiße Flamme auflodern könnte, wenn ich nur Luft an meine Gedanken ließ. Doch die meiste Zeit über tat ich das nicht. Ich ging brav meinen Pflichten nach und versuchte, mir einzureden, was mein Vater predigte, nämlich dass all das Gottes Plan sei, nicht seiner, nicht der seines Vaters, ja, gar keines Menschen. Ein kleines Teilchen eines größeren Entwurfes, den wir nicht zu ergründen vermochten. »Denk doch nur an die Stickerei deiner Mutter«, sagte er eines Tages und nahm ihr ein Stück Stoff, an dem sie gerade saß, aus den Händen. »Das Muster ist klar zu erkennen, wenn wir es von vorne betrachten, doch von hinten ist es nicht zu sehen.« Er drehte es um. »Hier, all die Knoten und vernähten Fäden. Man sieht die Umrisse eines Musters, aber wenn man versucht, zu erraten, was es ist – Ein Vogel? Eine Blume? –, dann können wir uns leicht täuschen. Und so ist es mit dem Leben: Wir sehen die Knoten, wir rätseln über das Ganze. Doch nur Gott sieht wirklich die Schönheit seines Planes.«
Und was war dann mit Caleb, oder Cheeshahteaumauk, der ganz allein irgendwo im Wald Nacht für Nacht zitterte und fror? War es auch ein Teil des göttlichen Plans, ihn dort draußen in der winterlichen Dunkelheit auszusetzen, und ihn darauf warten zu lassen, dass der Teufel ihn holte? Oder hatte Gott gar keine Pläne für die Heiden? Wenn das so war, was hatte dann eigentlich Vater mit seinen Predigten bei ihnen zu schaffen? Vielleicht war es auch nur reine Anmaßung, sich um diese Seelen zu bemühen, die Gott längst vergessen hatte. Möglicherweise war es ja sogar eine Sünde … Doch nein. Ganz gewiss würde mein Vater niemals einen solchen Irrweg beschreiten. Und wieso hatte Gott es zugelassen, dass sich Calebs und meine Wege kreuzten, wenn ich nicht dazu bestimmt war, ihm die Erlösung zu bringen? Warum hatte er uns alle überhaupt hierher geführt? Mir war das Ganze längst ein Rätsel geworden, etwas, in dem ich inmitten all der Fragen nicht einmal mehr die Andeutung einer Antwort erkennen konnte.
All diese Dinge beunruhigten mich sehr. Ich aß wenig und schlief nicht gut, konnte mir aber selber nicht zufriedenstellend erklären, was mich eigentlich so aufwühlte. Ich wünschte mir, Vater würde hinaus in den Wald gehen und Caleb finden, wo auch immer er gerade war, und ihn vom Bösen erlösen. Doch wo genau er in jener Nacht schlief, inmitten all der Bäume und Sträucher, das wusste Gott – oder Satan – allein.
IX
Wie sich herausstellte, schlug mir Vater etwa zu dieser Zeit tatsächlich eine Reise vor, allerdings nicht die, die ich so gerne unternommen hätte. Großvater hatte die Absicht, einen Anteil an der Schrotmühle der Merrys zu erwerben, und wie immer erwartete er von Vater, als sein Unterhändler aufzutreten.
»Ich dachte, ich könnte Bethia mitnehmen, wenn sie Freude daran hat mitzukommen«, sagte Vater zu Mutter eher unvermittelt am Frühstückstisch. »Sie ist in letzter Zeit ziemlich blass, und ich denke, der lange Ritt an der frischen Luft wird ihr vielleicht guttun.« Er sprach ganz beiläufig, doch mir entging trotzdem nicht der bedeutungsvolle Blick, den er mit Mutter wechselte, als sie ihm ein heißes Maisküchlein reichte. »Es wird dir gefallen, dir die Farm der Merrys anzuschauen, Bethia; wie ich höre, hat man von dort eine hübsche Aussicht auf den Bach, der mitten hindurchfließt und den man zu einem Mühlteich aufgestaut hat. Und auch das Haus soll bemerkenswert sein, heißt es. Leute, die es gesehen haben, sagen, es habe eine ganze Reihe von Glasfenstern und sogar eine Holzvertäfelung.« Bei dieser letzten Erwähnung blickte Makepeace auf und gab ein missbilligendes Schnauben von sich. »Eitler Tand, der unserem Gebot der Schlichtheit widerspricht«, sagte er. Ich fand, dass es meinen Bruder nichts anging. Wenn ein Mann sich Glasfenster einbauen oder seine Wände verkleiden ließ, dann wollte er vielleicht nur, dass es im Winter, wenn der eisige Wind durch jede Ritze und jeden Spalt drang, in seinem Haus weniger zog. Und was ist schon verwerflich daran, wenn wir unsere Fähigkeit nutzen, etwas schön zu gestalten?
An dem verabredeten Morgen war es kalt, aber sonnig und trocken. Mutter strich mir zärtlich übers Gesicht, bevor wir uns auf den Weg machten, und schaute mich mit liebevollen, aber auch forschenden Augen
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