Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
an. »Ich freue mich für dich, dass du eine Weile hier herauskommst und frische, gesunde Luft atmen kannst«, sagte sie. »Du bist in letzter Zeit nicht mehr so viel unterwegs wie früher. Ich habe mich schon gefragt, woran das liegt.« Ich senkte verlegen den Blick und sagte nichts, spürte jedoch die Hitze in meinem Gesicht. Mutters raue, abgearbeitete Finger strichen mir über die Wange. »Du musst dich für diese Veränderung in deinen Gewohnheiten nicht rechtfertigen. Du hast eine Zeit in deinem Leben erreicht, in der sich unweigerlich viele Dinge ändern werden. Vielleicht stellst du ja fest, dass das, was dir früher wie ein guter Zeitvertreib erschien, von einem Tag auf den anderen seinen Reiz verliert und dir nur noch wie kindliches Getändel vorkommt. Ich bin froh, dass du mir wieder mehr im Haus hilfst; du musst nicht denken, dass es mir nicht gefällt, dich öfter hier bei mir zu haben. Aber ich denke auch, dass diese letzten Wochen dir nicht sehr gutgetan haben. Versuche deinen Besuch bei den Merrys zu genießen. Und was auch immer dich so sehr zu belasten scheint, versuche, es einmal zu vergessen.« Sie gab mir einen Kuss, und ich erwiderte ihre Umarmung mit vollem Herzen.
Ich weiß nicht, ob sie Vater gebeten hatte, mich etwas aufzumuntern, doch schien er mir besonders gut gelaunt, als wir zu unserem Ritt aufbrachen. Im Sommer hatte ich vorgeschlagen unsere Jungschafe würden vielleicht besser gedeihen, wenn man sie auf etwas höhere Weidegründe brachte. Auf meinen Streifzügen hatte ich entdeckt, dass dort das Riedgras besonders saftig und reichlich wuchs, und nachdem sich Vater die Stelle angeschaut hatte, beschloss er, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Die Schafe hatten sich prächtig entwickelt, an Gewicht zugelegt und waren nun gut auf den bevorstehenden Winter vorbereitet, für den wir sie wieder herunter in die Pferche bringen würden. Vater nutzte unseren Ausflug, um einen Abstecher zur Weide zu machen, und lobte mich für meinen gelungenen Vorschlag. »Du wirst einem Bauern eines Tages eine tüchtige Ehefrau sein, Bethia.« Er meinte es freundlich.
Während wir durch die Wälder ritten, sprach er über Jacob Merry in einer Weise, die ihm ganz unähnlich war, weil er sonst nichts für Klatsch übrighatte. Jetzt jedoch gab er unaufgefordert eine Einschätzung seines Charakters zum Besten und beschrieb, wie der Müller von den anderen in der Siedlung gesehen wurde. »Schon die Ansichten deines Großvaters, die ihn schließlich hierher auf diese Insel brachten, waren im Vergleich zu denen der Kolonisten von Massachusetts Bay gemäßigt, doch die von Merry sind noch deutlich lockerer. Ich will offen zu dir sein, Bethia: Er hat sich mit seinem Verhalten in der Vergangenheit nicht nur Freunde in Great Harbor gemacht. Seine erste Frau starb an der Schwindsucht, als seine jüngsten Kinder erst zwei und drei Jahre alt waren, und die älteren Jungs, wenn ich mich recht erinnere, gerade mal neun und zwölf. Innerhalb von sechs Monaten heiratete er wieder – ein junges Mädchen namens Sofia, die bereits eine ganze Weile als Dienstmagd im Hause arbeitete. Einige haben ihn dafür schief angesehen, aber ich gehörte nicht dazu, denn ich fand, dass diese Kinder eine Mutter nötiger hatten als die Beachtung irgendwelcher Trauerriten. Merry war in England als Sohn eines Müllers aufgewachsen, und so kam es, dass er, als er entdeckte, dass der Fluss, der durch sein Grundstück fließt, reißend genug ist, um ein Mühlrad anzutreiben, diese Möglichkeit ernsthaft in Erwägung zog und auch keine Skrupel hatte, seine Familie an einen Ort umziehen zu lassen, der so viele Meilen von uns allen entfernt liegt. Ich sage nicht, dass er im landläufigen Sinne ein Rebell oder ein Unangepasster ist. Er ist ein guter und gottesfürchtiger Mensch. Vielleicht aber auch eigenwilliger, als die meisten es für annehmbar halten.«
Wir sahen die Farm bereits aus mehr als einer Meile Entfernung: einen breiten Streifen flachen Landes, das durch sanfte Hügel vom Wind geschützt war und in der Mitte einen flachen, schimmernden Teich hatte. Die Wampanoag, deren Siedlung nicht weit davon entfernt lag – man konnte die Rauchfahnen von ihren Lagerfeuern erkennen –, hatten einen Teil des Landes bereits für den Ackerbau genutzt, bevor Merry ihnen ein Angebot dafür unterbreitete, weshalb es an diesen Stellen bereits gerodet war. Dazwischen stand eine Reihe toter Bäume, die von den Merrys vor über einem Jahr geringelt
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