Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
aufspießen.
Es schien unmöglich, dass jemand ein solches Treiben so lange durchhalten konnte, doch der pawaaw war unermüdlich. Nur ab und zu blieb er stehen, um verstohlen etwas bräunliche Galle hochzuwürgen, griff dann nach einer Kalebasse und stürzte eine Flüssigkeit herunter, die so stark roch, dass ich es sogar von meinem Platz aus wahrnehmen konnte. Er war ein sehr großer Mann, selbst im Vergleich mit den anderen, ebenfalls stattlichen Indianern, und obwohl sein Gesicht bunt bemalt war, erkannte ich, dass es ähnlich vorteilhafte Züge trug wie das seines Neffen. Seine Gebete zeugten von einer Inbrunst, die selbst das frömmste Gebet an unseren wahren Gott, das ich jemals gehört hatte, bei weitem übertraf.
Vater war vollkommen versunken in das Spektakel, das sich uns bot, kehrte dann aber plötzlich wieder in die Wirklichkeit zurück. »Wende dein Gesicht ab, Bethia. Lass Satan sich nicht ergötzen an der Aufmerksamkeit, die du seinen Ritualen schenkst.«
Die Disziplin, die man mich zeit meines kurzen Lebens gelehrt hatte, tat ihre Wirkung, und ich wandte das Gesicht ab. Wann hatte ich mich überhaupt jemals in seiner Gegenwart einem seiner Befehle widersetzt? Doch den Blick von diesem Geschehen abzuwenden, war so schwierig, wie ohne Werkzeug einen Nagel aus einem Brett zu ziehen. Vaters Hand lag auf meinem Rücken, während er mich in Richtung einer der Hütten schob und barsch zu Momonequem sagte, wir würden drinnen warten, bis der pawaaw fertig sei. Danach solle man uns holen, damit wir uns des Kranken annehmen und schauen könnten, was, wenn überhaupt, zu tun sei, um ihm zu helfen.
Die Hütte war ein solider Bau aus Ästen und Rinde, darüber lag ein Fell, das zum Schutz gegen die herbstliche Kühle vor den Eingang gezogen war. Vater hob das Fell ein wenig an und bat um Einlass. Die Stimme einer jungen Frau antwortete höflich. Vater bedeutete mir vorauszugehen, und so bückte ich mich und trat ein. Drinnen war es schummrig, und ich brauchte ein paar Augenblicke, um mich an das mangelnde Licht zu gewöhnen. Es war gut, dass ich als Erste eingetreten war, denn erst in diesem Moment zog sich die Frau eher beiläufig ein Hemd aus Rehleder über die nackten Brüste, ohne dabei große Eile an den Tag zu legen. Sie war nicht viel älter als ich und hatte lange, kräftige Beine und glänzendes Haar, das sie zu einem einzigen, dicken Zopf zusammengebunden und mit Truthahnfedern geschmückt hatte. Sie bedeutete uns, Platz zu nehmen, und ich versank fast in einem dicken Berg aus Fellen, die über Holzbänken ausgebreitet waren. Es war warm in der Hütte, und die Rinde verströmte einen schwach süßlichen Duft nach Harz.
Sie bot uns einen Brei aus gestampftem Mais an, den wir mit den Händen aus einem gemeinschaftlichen Topf verzehrten. Ihre Herdstelle war klein, und der Rauch zog direkt aus einem Loch in der Rindendecke ab. Draußen hing eine Art verstellbares Segel, durch das man den Rauch ableiten und Regen abhalten konnte. Trotz des schummrigen Lichts sah ich Vaters harten, unnachgiebigen Blick auf mir ruhen, während ich mir eine Handvoll Maisbrei nach der anderen in den Mund schob. Da ich wusste, dass mir ein Tadel sowieso nicht erspart bleiben würde, beschloss ich, die Katze gleich aus dem Sack zu lassen. Ich wandte mich an die junge Frau und dankte ihr höflich auf Wampanaontoaonk, woraufhin sie zusammenzuckte und einen Schrei der Überraschung von sich gab. Mit einem Auge auf Vater gerichtet, erklärte ich ihr, ich hätte ihre Sprache gelernt, während ich dem Unterricht meines Vaters bei Iacoomis lauschte. Auf Englisch fügte ich dann noch hinzu: »Bitte sei mir nicht gram, Vater. All die vielen Wintermonate am Herdfeuer, als ich noch klein war – ich konnte meine Ohren einfach nicht verschließen.«
Ich weiß nicht, was Vater geantwortet hätte, denn in diesem Moment betrat der sonquem zusammen mit einigen älteren Männern seines Stammes die Hütte. Als ich aufschaute, fiel mir fast der Brei von den Fingern. Einer der Männer sah Caleb so ähnlich, dass ich einen glücklichen Moment lang dachte, er sei es, endlich zurückgekehrt von seiner Prüfung in der Wildnis. Doch ein zweiter, genauerer Blick zeigte mir, dass es mit der Ähnlichkeit doch nicht ganz so weit her war. Das hier war das Gesicht eines Mannes, nicht eines jungen Burschen, verwittert und verhärtet durch so manches Jahr, das er älter war. Mir fiel ein, dass er wohl der ältere Bruder sein musste, von dem Caleb gesprochen
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