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Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Titel: Insel zweier Welten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geraldine Brooks
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hatte: Nanaakomin, der pflichtbewusste Sohn und bevorzugte Erbe ihres Vaters Nahnoso. Da seine ganze Aufmerksamkeit auf meinem Vater lag, hatte ich die Möglichkeit, mir seine Gesichtszüge genauestens anzuschauen und sie mit denen zu vergleichen, die mir mit der Zeit so vertraut, ja lieb geworden waren. Nanaakomins Augen waren wachsam und intelligent wie die seines Bruders, doch sie waren auch dunkler und undurchdringlicher und seine Lippen voller und sinnlicher.
    Die junge Frau bedeutete mir, sie und ich sollten hinausgehen, damit die Männer sich mit meinem Vater besprechen konnten, und das taten wir auch. In der Siedlung war es ruhiger geworden. Man hatte den Kranken in den Schutz eines Zeltes gebracht. Nur der pawaaw war in dem inneren Kreis der wetus zurückgeblieben. Er lag da, mitten im Staub, erschöpft oder in eine Art verzücktes Gebet versunken, das war nicht genau zu erkennen. Jedenfalls schienen sich die Leute aus der Siedlung bewusst von ihm fernzuhalten, und die Frau neben mir wandte das Gesicht ab, um ihn nicht anzuschauen. Ich spürte, dass sie Angst hatte. Rasch ging sie vorbei und verschwand in irgendeiner anderen Hütte. Niemand war mehr draußen. Der pawaaw lag ganz allein dort draußen, umgeben von seinen Zaubermitteln, die niemand sonst zu berühren wagte. Auf leisen Sohlen, so wie Caleb es mir beigebracht hatte, näherte ich mich ihm. Seine Augen waren weit geöffnet, wirkten jedoch glasig und blicklos. Die kleine Kalebasse, aus der er getrunken hatte, stand aufrecht nur ein paar Zoll von seinem seltsam ausdruckslosen Gesicht entfernt.
    Und nun komme ich zu dem Punkt, an dem ich mein Verhalten nicht mehr rechtfertigen kann, es sei denn, ich würde sagen, Satan habe die Macht über mich errungen. Denn ich ging zu jener Kalebasse hinüber und schaute hinein. Sie enthielt die Reste eines grünlichen Gebräus, dessen Dämpfe so stark waren, dass sie einem in der Nase brannten. Ich ahnte, worum es sich handelte. Es war ein Sud aus der Wurzel der weißen Nieswurz, von dem Makepeace gesprochen hatte – der giftige Pfad zu seherischen Fähigkeiten. Ich schaute mich rasch um, ob mich jemand beobachtete, doch außer mir war weit und breit nur noch der pawaaw zu sehen, der besinnungslos und entkräftet an seinem Platz lag.
    Ich hob die Kalebasse. Meine Hand zitterte. Ich stellte sie wieder ab und wollte weggehen, doch ich konnte nicht. Stattdessen nahm ich das Gefäß und zog mich damit rasch in den Schutz eines Dickichts zurück. Hier stellte ich es erneut ab, überlegte. Es war nicht mehr viel Flüssigkeit vorhanden. Makepeace hatte gesagt, die Leute verstünden sich sehr genau darauf, eine Dosis herzustellen, die nicht giftig sei. Was machte es schon, wenn ich einmal probierte, wie es schmeckte? Was konnte es schaden? Vielleicht würde ich ja einen Gewinn daraus ziehen. Ich sehnte mich danach, noch einmal die fromme Verzückung zu erleben, die sich damals bei den Klippen meiner bemächtigt hatte.
    Ich hob das Gefäß an meine Lippen und nahm einen Schluck. Zuerst war der Geschmack auf meiner Zunge ganz süß, weshalb ich die Kalebasse kippte und alles trank, was noch darin war, bis zum letzten Tropfen. Einen Moment später brannten mein Mund und meine Kehle wie Feuer. Und schließlich kam ein bitterer Nachgeschmack. Mir wurde übel, am liebsten hätte ich mich übergeben. Ich stellte das Gefäß auf den Boden und rannte zum See zurück, wo ich auf die Knie fiel und mir mehrere Hände voll Wasser in den Mund schaufelte, doch jene klare, süße Flüssigkeit hätte ebenso gut Gallustinte sein können, so wenig Erleichterung brachte sie mir. Bald darauf konnte ich meine Zunge nicht mehr spüren, denn sie war taub geworden. Ich merkte, wie meine Knie nachgaben, als hätte mir jemand von hinten einen kräftigen Schlag versetzt. Ich sank am See zusammen.
    Die Zeit verlangsamte sich. Ich spürte das Blut in meinem Kopf pulsieren. Jeder Atemzug war anstrengend und wurde immer langsamer, immer keuchender. Auch mein Blut schien träger zu fließen, bis ich das Gefühl hatte, zwischen einem Herzschlag und dem nächsten vergingen Welten. Ich versuchte, die Hand zu heben, doch Gedanke und Tat waren zweierlei. Meine Hand wog so schwer wie ein Amboss. Während sie sich bewegte, schien sie Spuren von sich im Raum zu hinterlassen, viele einzelne Hände, die in die Luft emporstiegen. Ich hob die Hand an meine brennenden, geschwollenen Lippen, doch in meinen Fingern war kein Gefühl, und so spürte ich mein Gesicht

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