Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
nicht.
Die Sonne stand tief am Himmel, sie setzte die Baumwipfel in Brand und spiegelte sich in zahllosen roten Blitzen auf dem See wie lodernde kleine Fackeln. Und dann, ganz plötzlich, stand der See in Flammen. Die Feuerzungen waren keine Spiegelungen mehr, sondern richtige kleine Flammen, die sich blitzschnell auf der Wasseroberfläche ausbreiteten. Dann verschmolzen sie zu einer breiten Feuerwand, die aufloderte und brüllend die Gestalt von Riesen annahm, deren verbrannte Haut schimmerte wie glühende Kohle. Ich barg den Kopf in meinen Armen, aber die Visionen bahnten sich dennoch einen Weg durch meine geschlossenen Lider. Es gab einen schrecklichen Lärm: Donnerrollen und ein gewaltiges Krachen, als würde sich gleich die Erde unter mir auftun. Ich begann zu beten, doch die frommen Worte wollten mir nicht über die geschwollene Zunge kommen; nur grobe, kehlige Laute, deren Bedeutung ich nicht kannte. Jetzt war der Geschmack in meinem Mund metallisch, warm und klebrig wie geronnenes Blut. Das Blut Christi. Nein, das nicht. Kein heiliger Wein aus Satans Kelch. Das war das Blut von irgendeinem dämonischen Opfer; von irgendeinem armen Unschuldigen, der, aufgespießt auf des Teufels Dreispitz, verblutet war. Ich hatte das Gefühl, mir würde der Schädel gespalten, so grässlich war der Schmerz, der mir durch den Körper fuhr.
Wenn es hier eine Macht gab, dann nicht für mich. Das hier war die verbotene Frucht, nichts anderes. Aufzustehen schien mir unmöglich, und doch stand ich plötzlich auf beiden Beinen und lief so schnell wie ein Waldgeist, umrundete Büsche und Baumstümpfe mit einer Behändigkeit, die ich kaum für möglich gehalten hätte. Ich rannte und sprang, bis ein Krampf meinen Leib erfasste und ich auf die Knie fiel, mir den Bauch hielt. In diesem Moment hoffte ich, den Trank hochwürgen und damit loswerden zu können. Dort, in meinem Inneren bewegte sich etwas Hartes, Rundes, das gegen meinen Leib drückte. Ich fasste hinab. Nass, schleimig. Ein gehörnter Kopf, ein gespaltener Huf. Des Teufels Brut, die sich aus meinem zerfetzten Fleisch erhob. Ganz langsam drückte sie sich aus mir heraus, eine blutige Kralle, die meine zerfleischten Muskeln packte, sich durch feucht glänzende, pochende Eingeweide emporwand. Ledrige kotbesudelte Fänge. Sie beugten und streckten sich, strichen mir übers Gesicht. Ich schlug mit beiden Armen nach dem Tier. Die gottlose Kreatur breitete die Flügel aus und gab den Gestank der Verdammnis und der Fäulnis von sich – den Duft des Todes, nicht der Geburt. Sie erhob sich in den zerrissenen Himmel, aus dem leuchtend weiße Pfeile auf mich herabfielen und mich in Brand setzten. Ich sah dabei zu, wie mein brennendes Fleisch Blasen warf und zerrann, wie es von meinen verkohlten Gebeinen fiel, bis mir die Augäpfel, in der Hitze geschrumpft wie getrocknete Erbsen, aus den Höhlen rollten. Dann sah ich nichts mehr.
Als ich wieder zu mir kam, lag ich am See im Gras. Nur wenige Minuten waren vergangen, denn die Sonne war gerade erst hinter den Hügeln westlich des Sees versunken. Das Abendrot, rosa und lila, tauchte alles in ein gütiges Licht. Ich schaute meine Arme an, die wohlbehalten und gesund aussahen, und meinen Leib, der zart, aber gewiss nicht aufgerissen war. Es stank, wozu mein Auswurf, der leicht dampfend im Gras lag, ein Übriges tat. Ich nahm mir eine Handvoll Sassafras-Blätter, um mir den Mund abzuwischen. Während ich aufstand, bemerkte ich etwas Feuchtes und musste voller Entsetzen feststellen, dass ich meine Kniehose beschmutzt hatte. Angewidert zog ich sie aus, wickelte sie um einen Stein und warf sie weit weg in die Bäume. Meine Hände zitterten. Ich kniete nieder, holte tief bebend und schluchzend Luft, und dann bat ich Gott um Vergebung. Doch ich rechnete nicht mit seiner Barmherzigkeit.
Eines Tages, als mein Großvater dachte, ich hörte nicht zu, hatte er meinem Vater von einem schrecklichen Fall erzählt, der auf dem Festland vor Gericht gekommen war. Eine Frau hatte ihr eigenes Kind in einen Brunnen geworfen. Als man sie nach den Gründen für den Mord fragte, hatte sie gesagt, ihre böse Tat habe ihr Gutes, denn nun sei sie endlich frei von einer Ungewissheit, die sie lange Zeit und jede wache Minute hindurch gequält habe: Gehörte sie nun zu den Verdammten oder zu den Geretteten? Ihr ganzes Leben hatte sich um diese Frage gedreht. Und nun habe sie endlich die Antwort.
Als ich zu den wetus zurücktaumelte, um auf Vater zu warten, dachte
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