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Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Titel: Insel zweier Welten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geraldine Brooks
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beäugte. Das war der junge Noah Merry, der zwischen den Pflanzen hin und her ging, unsere Arbeit und das kräftige Wachstum lobte und erklärte, er habe bereits auch daran gedacht, sich derlei Techniken anzueignen, wozu unser Experiment ihn nun weiter ermutige. Plötzlich, so schien es, sahen wir Noah Merry wesentlich öfter in Great Harbor als früher. Wann immer seine Familie Vorräte brauchte oder Großvater seinen Anteil an den Erträgen der Wassermühle auszahlen wollte, waren es nicht länger Jacob oder Josiah, die man auf der Farm am ehesten entbehren konnte, sondern stets Noah. Was für Geschäfte ihn auch immer hierherführten, schaffte er es stets in genau dem Moment mit seinem Wagen an unserer Tür vorbeizufahren, in dem ich den Tisch fürs Abendessen deckte. Und jedes Mal sagte mir Vater, ich solle noch ein weiteres Gedeck auflegen.
    Ich will nicht behaupten, dass es mir schwerfiel, die Gesellschaft dieses gutmütigen jungen Mannes zu erdulden. An anderen Abenden fand die Unterhaltung am Tisch oft auf Latein statt, gewissermaßen als Übung für die Jungen, die es bitter nötig hatten, da sie am College nichts anderes sprechen würden. Obwohl ich den Versuch aufgegeben hatte, mich in dieser Sprache fortzubilden, konnte ich doch recht gut folgen, und es gefiel mir, Vaters Fragen und die Antworten darauf für mich zu formulieren und sie dann mit denen zu vergleichen, die mein Bruder und Caleb gaben. Selbst wenn sie Englisch sprachen, ging es oft um gelehrte Themen. Doch da es auf der Hand lag, dass es mit Noahs klassischer Bildung nicht weit her war, wurden in seiner Anwesenheit auch andere Tischgespräche geführt. Es ging eher um den üblichen Klatsch und Tratsch aus dem Dorf: wer vom Festland kam oder dorthinfuhr; ob eine neue Familie die Übersiedlung zu uns gewagt hatte; ob es Geburten oder Todesfälle gab; wer das Aufgebot bestellt oder eine Kuh gekauft hatte – derlei harmlose, kleine Neuigkeiten. Wenn Noah sich nach dem Wohlbefinden von jemandem erkundigte, lauschte er wirklich voller Aufmerksamkeit, wenn man ihn ins Bild setzte. Und seinerseits sprach er stets voller Begeisterung über seine Farm.
    Und auch das war anders: Vater und Makepeace waren daran gewöhnt, dass ich bei Tisch schwieg und nicht an den Gesprächen teilnahm. Es kam nur selten vor, dass sie mich nach meiner Meinung fragten oder sonst einen Kommentar von mir erbaten, und Caleb hatte diese Angewohnheit von ihnen übernommen. Bei Noah war das jedoch ganz anders. Er wandte sich ständig an mich, fragte: »Glaubst du etwa …« oder »Was meinst du …«, und ich stammelte dann irgendeine Antwort, um nicht abweisend zu erscheinen. Er musste bemerkt haben, dass ich einmal, als die Rede auf den otan der Takemmy kam, der neben ihrer Farm lag, lebhafter reagierte als sonst, denn bei seinem nächsten Besuch hatte er Erkundigungen darüber eingezogen. Voller Begeisterung berichtete er, der Herstellung eines mishoons beigewohnt zu haben, und pries die geduldige Emsigkeit der Indianer, die zu diesem Zweck einen großen Holzstamm in Brand steckten und Tag für Tag die verkohlten Teile abschabten, bis genau die Form entstanden war, die für ein schnelles Kanu gebraucht wurde. Er erkundigte sich bei Caleb, wie das denn in Nobnocket vonstatten gegangen war, ob die Auswahl der Bäume überall gleich sei oder ob jeder otan es anders handhabe. Caleb schien nicht ganz bei der Sache zu sein und antwortete nur knapp. Ich fand das sonderbar, bis mir der Gedanke kam, die Gespräche über sein früheres Leben könnten für ihn unwillkommene Erinnerungen mit sich bringen. Doch dann fiel mir auf, dass er oft sehr zurückhaltend war, wenn Noah mit uns aß, ganz gleich, welche Themen zur Sprache kamen. Ich schloss daraus, dass er es noch nicht gelernt hatte, mit Engländern umzugehen, die nicht zur engsten Familie gehörten. Einen anderen Grund für sein kühles Gebaren konnte ich mir nicht vorstellen.

IV
    Gestern Abend, als ich von den alltäglichen Dingen jener frühen Sommermonate schrieb, kam auf einmal ein Gefühl des Friedens in mir auf. Nachts träumte ich dann von jener Zeit, und als ich aufwachte, war ich voller Enttäuschung. Es ist wahr, dass ich damals ständig hundemüde war. Oft wachte ich im Morgengrauen auf und wünschte mir nichts sehnlicher als Schlaf, und meine Arme schmerzten so sehr von der Schufterei des vergangenen Tages, dass ich es kaum schaffte, Solace aus ihrem Bettchen zu heben und hinunterzutragen. Oft während des Tages

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