Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
abzuwägen – den Glauben an Jesus Christus und unsere Bildung gegen eine heidnische Götterwelt und ein unbequemes Leben in der Wildnis. Ich muss jedoch davon ausgehen, dass Caleb und Joel beide Welten als gleichwertig empfinden. Denn sie glauben fest an die ehrgeizigen Pläne, die mein Vater mit ihnen hat, und arbeiten fleißig an ihrem Lernpensum. Beide sind fest entschlossen, sich im nächsten Herbst in Harvard zu immatrikulieren. Vaters Glauben, dass sie dazu ausersehen sind, ihr Volk aus der Finsternis zu führen, haben sie sich zu Herzen genommen, und um dies zu tun, müssen sie nicht nur Hunger und Kälte ertragen, sondern auch ihre Auffassungsgabe an ihre Grenzen führen.
Eines muss ich Master Corlett, dem Schulmeister, lassen: Er widmet sich denjenigen, die lernen wollen, in außergewöhnlichem Maße und unterrichtet sie bis spät in die Abendstunden. Ich bete nur, dass Caleb und Joel nicht unter der Last zusammenbrechen und sich ihre Gesundheit der ungesunden Umgebung hier gewachsen erweist. Sie sind stark, aber ich erkenne dennoch eine Veränderung in ihnen.
Joel hat etwas von dem ausgehungerten Äußeren seines Vaters aus jenen Tagen angenommen, als Iacoomis sich zum ersten Mal bis an die Grenzen der englischen Siedlung vorwagte, noch bevor er und Vater Freunde wurden. Manchmal, wenn ich um eine Ecke biege und unerwartet auf Joel stoße, finde ich die Ähnlichkeit verblüffend. Für Iacoomis bedeutete sein neues Leben in Great Harbor einen großen Fortschritt, er hatte sich vom Ausgestoßenen zu einem geschickten Ernährer entwickelt, der gut für seine Nachkommen sorgen konnte. Joel jedoch hat seine wohlgenährte Körperfülle verloren und wirkt nunmehr fast sehnig und hager. Caleb kommt besser mit den Umständen zurecht, denn sein Körper ist an die jährlichen Zyklen eines üppigen Sommers und eines kargen Winters gewöhnt. Wie er allerdings auf lange Sicht mit den andauernden Entbehrungen hier zurechtkommen wird, vermag ich nicht zu sagen. Jedenfalls vergeht kein Tag, an dem er nicht eine neue, anmutige Redewendung lernt oder an seinem Gebaren als Gentleman feilt, und seine Größe und natürliche Haltung heben ihn deutlich von anderen ab. Er quillt beinahe über, wie ein Bach, der Hochwasser führt, denn er sammelt alles Wissen, das ihn umspült, was auch immer es sein mag. Ich bemerke, wie er die anderen Schüler beobachtet, selbst die jüngeren, als wollte er überprüfen, ob ihre Herkunft sie vornehmer gemacht hat. Schon von Beginn an hatte er ein ausgezeichnetes Gehör für Englisch, und mittlerweile spricht er fließend und gänzlich ohne Akzent. Dabei bewegt er sich mit so großer Selbstverständlichkeit auch unter Menschen, die ihrem Rang nach weit über ihm stehen, dass über kurz oder lang all diejenigen, die seine Geschichte nicht kennen, ihn schwerlich als den erkennen werden, der er ist, und ihn eher für einen Spanier oder Franzosen, oder den Angehörigen eines anderen, dunkleren Volksstammes halten werden.
Vor nicht allzu langer Zeit, als ich durch den Flur neben dem Klassenzimmer ging, hörte ich, wie der Master ihn bat, laut eine Passage aus der Bibel in Hebräisch vorzulesen. Da die Schüler erst kürzlich mit dem Studium dieser Sprache begonnen hatten und noch nicht recht wussten, welche Klänge zu diesen sonderbaren, flammenden Buchstaben gehörten, blieb ich stehen, den Arm voller Leintücher, um ein wenig zu lauschen. Master Corlett hatte Caleb dazu aufgefordert, sich selbst eine Stelle auszusuchen, und er hatte einige Verse aus dem Buche Jeremia gewählt. Ich hörte seine Stimme, kräftig und selbstbewusst, wie sie diese kehligen Laute formte, die so sehr denen seiner Muttersprache ähnelten. Seit ich hierher kam, habe ich gehört, manche Gelehrten hielten die Indianer wegen der Ähnlichkeit der Sprache für einen der verlorenen Stämme Israels. Caleb ging sehr bedachtsam vor und schien sich die Aussprache eines jeden Wortes vorher genau zu überlegen. Als ich hörte, wie wacker er sich in einem so schwierigen Unterfangen schlug, freute ich mich zuerst, bis ich merkte, dass an seiner Stimme etwas Fremdes war, das nichts mit der Aussprache der hebräischen Wörter zu tun hatte. In der alten Sprache nahm seine Stimme einen ganz anderen Klang und Ton an. Auf einmal hatte ich das Gefühl, er singe die Worte mit der Stimme eines pawaaw … und bei diesem Gedanken war ich sogleich wieder bei jenen bunt gefärbten Klippen am Meer und hörte die wilden, heftigen Gebete, die in
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