Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
richtete ich mich beim Teigkneten oder Hacken auf dem Feld kurz auf und dachte daran, wie ich noch ein Jahr zuvor ungezügelt und frei mit Caleb in der weichen, warmen Luft umhergestreift war, noch unberührt von der Sünde, die solches Unglück über uns gebracht hatte. Denn damals, in jenem Sommer, war ich so dumm gewesen, mein Leben als traurig zu empfinden, und wusste die Geschenke jener Jahreszeit nicht zu schätzen. Ich konnte nicht vorhersehen, welche Verluste und welche Mühsal erst noch auf mich zukommen sollten.
Mein anstrengendes Tagwerk zu jener Zeit war nichts im Vergleich zu der schweren Arbeit, die ich hier in Cambridge verrichte. Als ich heute Morgen den Eimer in den Brunnen hinabließ, um Waschwasser zu holen, erhaschte ich einen Blick auf mein Gesicht. Zuerst erkannte ich die ausgemergelte, finstere Fratze, die mich von dort unten anschaute, gar nicht. Auf der Insel hatte mich die frische Meeresluft stets mit neuem Leben erfüllt. Nie herrschte Mangel an sauberem Wasser oder an Holz, um das Haus zu heizen. Meine Aufgaben waren zwar zahlreich, aber auch sehr vielseitig. Hier jedoch friere ich und leide Hunger, und mein ganzes Leben ist eine Schufterei. Die verstorbene Herrin des Hauses war schon älter und hatte schlechte Augen. Fromme Sauberkeit war ihre Sache nicht, und so hatte ich eine ganze Weile zu tun, bis ich die Böden geschrubbt, die Ecken und Winkel von Mäusekot gesäubert und das schmuddelige Leinen mit blauer Stärke und kochendem Wasser gereinigt hatte. Es ist meine Aufgabe, die Kleider aller Schüler sowie die fadenscheinige Tischwäsche zu waschen und gegebenenfalls zu stopfen. Tag für Tag wische ich die Böden, schrubbe und bestreue sie einmal in der Woche mit Sand, so wie wir es zu Hause immer getan haben, obwohl diese Aufgabe hier, wo so viele Menschen mit schmutzigen Stiefeln ein und aus gehen, viel schwerer ist. Der Master, mein Herr, beauftragt die Jungen mit dem Holzhacken, sofern wir welches haben, doch es fein zu spalten, ist meine Sache. Da wir auf Schenkungen angewiesen sind, ist Holz die meiste Zeit knapp. Ich bereite das karge Mittagessen zu und richte ein paar Reste als Vesper und Abendbrot her. Ich backe Brot, koche eine dünne Brühe. Mehr kann ich mit so wenigen Lebensmitteln nicht ausrichten – jeweils einem Sack Roggen und Mais, ein wenig Hefe, einigen knorpeligen Stückchen Fleisch und ein paar Rüben. Wenn eine der Familien eines Schülers etwas spendet – einen Hammelhals etwa oder ein Paar Hühner –, dann ist das ein Segen, aus dem ich versuche, das Beste zu machen, indem ich die Knochen so lange auskoche, bis selbst ein verhungernder Hund nichts mehr daran zu knabbern finden würde. Doch die Zeiten sind hart für die Siedler, und derlei Geschenke waren in diesem Semester rar.
Die Schule geht auf die Crooked Street hinaus, rechts und links davon steht jeweils ein Haus. Auf unserem bescheidenen Grundstück ist Platz für einen Garten, dessen Früchte, auch wenn es nur Wurzelgemüse und Kräuter sind, die Jungen vielleicht doch bei ein wenig besserer Gesundheit halten. Ich war sehr erstaunt, als ich feststellte, dass niemand bisher auf die Idee gekommen war. Es gibt genug Platz, um bei der Tür ein paar Hühner zu halten, und ich habe mir vorgenommen, ein paar aufzuziehen, sobald es wärmer wird. Im Herbst hatte ich bei Spaziergängen auf dem Cow Common oft wilden Dill oder Grünzeug für einen Salat gepflückt, war auf Beeren gestoßen, die andere übersehen hatten, und hatte damit eine schnelle Nachspeise zubereitet. Doch mit dem nahenden Winter bestand selbst auf diese kleinen Mengen keine Aussicht mehr, und jetzt ist jeder von uns hohlwangig und hat entweder eine laufende Nase oder einen feuchten Husten.
Cambridge ist kein hübscher Ort. Diejenigen, die hier in den Dreißigerjahren dieses Jahrhunderts gesiedelt haben, legten per Gesetz fest, dass die ersten sechzig Häuser ganz eng beieinanderstehen sollten, vermutlich aus Angst vor einem Angriff durch europäische Widersacher, denn die einstigen Ureinwohner dieser Gegend sind schon längst alle irgendeiner Seuche zum Opfer gefallen, über die es keine Aufzeichnungen mehr gibt. Die wie ein Schachbrettmuster angeordneten Häusergrundstücke sind schmal, und die flache Anhöhe, auf der die Stadt gebaut wurde, schneidet sie von dem Entwässerungssystem des Hinterlands ab, wodurch sich bei starken Regenfällen alles in einen morastigen Sumpf verwandelt. Es gibt mehrere Manufakturen hier, die zwar jede
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