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Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Titel: Insel zweier Welten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geraldine Brooks
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einen Himmel voll züngelnder Flammen emporstiegen.
    Meine Arme erschlafften, und einige der Leintücher fielen zu Boden. Als ich mich bückte, um sie aufzuheben, begann der Master, das Hebräische ins Englische zu übersetzen, und die Bedeutung der Passage traf mich mitten ins Herz: Lasst uns in die festen Städte ziehen, dass wir daselbst umkommen. Denn der Herr, unser Gott, wird uns umkommen lassen und tränken mit einem bitteren Trunk, dass wir so gesündigt haben wider den Herrn. Wir hofften, es sollte Friede werden, doch so kommt nichts Gutes. Wir hofften, wir sollten heil werden, aber siehe, so ist mehr Schaden da. «
    Und auch diese letzten Worte erinnerten mich an etwas – an Tequamuck und seine schrecklichen Prophezeiungen. Wenn es wirklich so ist, dass die hiesigen Indianer verlorene Juden sind, dann ist vielleicht einer wie Tequamuck der Jeremias seines Volkes. Nicht zum ersten Mal ging mir durch den Kopf, was Caleb wohl in jenen Monaten in der Wildnis erlebt hatte. War er, wie Makepeace behauptete, wirklich ein Gefäß, durch das noch immer Dunkelheit sickerte, ein Kanal, durch den das Böse selbst in Gottes eigene Kirche gespült werden konnte …?
    Natürlich war dem nicht so. Diese krankhaften Vorstellungen waren allein meiner Erschöpfung geschuldet. Und doch traten mir Tränen in die Augen. Ich bin so nah am Wasser gebaut. Und auch jetzt, während ich dies schreibe, kommen mir die Tränen. Es scheint, als könnte ich bis in alle Ewigkeit weinen, und doch wäre das Brünnlein meines Kummer noch nicht versiegt.

V
    Heute Nacht las ich das, was ich hier niedergeschrieben habe, und habe beschlossen, dass ich in meinen Schilderungen fortan klarer sein will. Ich darf nicht mehr hin und her springen, wie ich es gestern Abend getan habe. Und auch das: Ich muss mich vor allzu großer Empfindsamkeit und krankhaften Gedanken hüten. Die letzten Zeilen des Geschriebenen sind verwischt, weil ich mich habe gehen lassen. Verzweiflung ist ein Vergehen, das ich meinem Sündenregister nicht auch noch hinzufügen will. Deshalb will ich mich nicht nur darum bemühen, größere Sorgfalt beim Schreiben walten zu lassen, sondern in einfachen Worten das niederschreiben, was damals auf der Insel geschah, und versuchen, darin Gottes Hand zu erkennen.
    So groß die Freude in jenem Sommer, der Calebs Ankunft bei uns folgte, gewesen sein mag: Sie endete an einem Tag, der so schön und still war, dass ich mich in ihm bewegte, als schwämme ich in einem Bad aus Honig. In der Nacht zuvor hatte es geregnet; jener schwere, stark duftende Sommerregen, der Staub und Blütenpollen aus der Luft wäscht und alles ganz rein und sauber zurücklässt. Der Duft von gereiften Früchten und Blüten verstärkte sich noch, als der Morgen ins Land ging und es heiß wurde. Der Hafen funkelte im Sonnenlicht, und wenn eine winzige Brise durch das Seegras ging, schimmerte ein jeder Grashalm wie ein Faden aus geschmiedetem Silber.
    Ein solcher Tag ist wie ein Geschenk des Himmels, man ist unbekümmert, und die ganze Welt scheint wohlauf. Tragödien erwartet man zu anderen Zeiten – wenn der Himmel trüb und grau ist, wenn Nebel herrscht und bittere, heulende Winde wehen –, an Tagen, die man bereits mit einem Gebet beginnt, Gott möge Unheil abwenden. Das weiß ich. Doch an jenem Tag waren meine Gedanken reich und voller Verheißung. Selbst als am frühen Morgen ein Huhn krähte wie ein Hahn, was als Vorbote von Unheil allseits bekannt ist, beachtete ich das böse Omen nicht. Es war einfach undenkbar, dass an einem solchen Tag etwas misslingen könnte.
    Ich ging nach draußen, um die reifen Bohnen und Kürbisse zu pflücken. Zu dieser Zeit wuchsen sie so üppig, dass ich zwei Körbe mitnehmen musste, um meine Ernte nach Hause zu tragen. Ich mochte es, gleich beim ersten Tageslicht zu ernten, nachdem ich mich ganz leise aus dem Bett gestohlen hatte, ohne Solace zu wecken. Es war schön, auf dem noch kühlen, taubedeckten Feld meinen Pflichten nachzugehen. Wenn Solace mit mir aufwachte, wie sie es an diesem Morgen tat, dann musste ich das Ernten auf die Zeit nach dem Mittagessen verschieben, wenn die Hitze des Tages am größten war und sie ihr Nickerchen machte. Dann lag sie sicher in ihrem Bettchen, während Vater mit dem Unterricht begann, und wenn sie sich vor meiner Rückkehr rührte, holte Makepeace sie und spielte ein wenig mit ihr, solange es nötig war. Davor drückte er sich nie, und er beklagte sich auch nicht, denn Solace war das einzige

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