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Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Titel: Insel zweier Welten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geraldine Brooks
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Licht zu haben. »Wir befolgen hier den Zeitplan des College, damit sich die Jungen gleich daran gewöhnen, weißt du. Beten um sechs, erste Unterrichtsstunde um sieben. Du wirst ihnen ihr erstes Frühstück um neun Uhr servieren. Es gibt einen kleinen Krug leichtes Bier und eine Scheibe Brot für jeden Jungen. Die restlichen Aufgaben teile ich dir dann mit. Und jetzt wünsche ich dir eine gute Nacht. Gott sei mit dir. Bis morgen früh.«
    Ich murmelte einen Gutenachtgruß. Kaum hatte er die Küchentür hinter sich geschlossen, löschte ich die Kerze und ließ mich auf meine Pritsche fallen. Ich hatte gerade noch die Kraft, meine Stiefel aufzuschnüren und schlief ohne meine Kleider abzulegen ein.

XII
    Ich erwachte vom Geräusch trappelnder Füße über mir. Dann vernahm ich deutlich, wie mehrere junge Leute gemeinsam die schmale Stiege hinabstiegen. Als sich auch der letzte Schüler in Master Corletts Zimmer gedrängt hatte, hörte ich, wie die Tür geschlossen wurde und sich die Stimme des Masters bebend zum Gebet erhob.
    Ich stand auf, immer noch ganz steif und müde, um mir meine neue Umgebung genauer anzuschauen. Ich warf mir einen Schal um die Schultern und trat hinaus in den Garten. Was Großvater berichtet hatte, stimmte: Das College lag nur einen Steinwurf entfernt. Das ältere Gebäude war ein großer, mit Schindeln verkleideter Bau, der zur Zeit seiner Errichtung an diesen wilden Gestaden vor fast zwanzig Jahren bestimmt beeindruckend gewesen war. Das Haus besaß drei Stockwerke und drei Flügel, die im rechten Winkel zum Hauptgebäude angeordnet waren. In der Mitte stand ein hoher Turm mit Glocke. Bestimmt war es ein gewaltiges Unterfangen gewesen, an einem solchen Ort etwas Derartiges zu errichten, als die Siedlung noch in den Kinderschuhen steckte, die ganze Kolonie um ihr Überleben kämpfte und große Knappheit an Baumaterial herrschte. Ich hatte schon des Öfteren gehört, dass manche das Collegegebäude für zu protzig hielten angesichts der Wildnis, die es umgab. Jedenfalls schienen die baulichen Fähigkeiten bei seiner Errichtung nicht mit der Anmut seines Entwurfes mithalten zu können, denn sein Schindeldach hing an mehreren Stellen erbärmlich durch, und auch am Holz der Fensterbänke nagte deutlich sichtbar der Zahn der Zeit. Das schmucke Backsteingebäude daneben – bei dem es sich vermutlich um das Indian College, ein College nur für Indianer, handelte – hob erst recht noch den heruntergekommenen Zustand des größeren und altehrwürdigen Gebäudes hervor.
    Ich kehrte in die Küche zurück, um mir den Ort anzuschauen, mit dem ich mich als Allererstes zu befassen hatte. Ein einziger großer Wasserkessel und eine kleine Auswahl von Pfannen hingen über dem Ausguss. Auf einem kleinen Schränkchen stand diverses Essgeschirr – mehrere bemalte Schalen sowie drei gute Zinnkrüge, in deren Boden, wie ich bei näherem Hinschauen entdeckte, grob die Initialen von Schülern eingraviert waren. Auch die Holzteller wirkten ziemlich abgenutzt, nur drei Zinnteller, auch sie mit eingravierten Initialen, waren in einem besseren Zustand. Es gab also offenbar wohlhabendere Schüler, die ihr eigenes Essgeschirr mitgebracht hatten – worüber Makepeace gewiss untröstlich sein würde, denn er hatte nicht daran gedacht, dergleichen einzupacken.
    Schon bald erfuhr ich die Namen der Zinntellerbesitzer, denn dieses Trio machte stets den größten Ärger und nahm auch meine Zeit am meisten in Anspruch. Eine der Initialen, JD, verwies auf Joseph Dudley, den Sohn des ehemaligen Gouverneurs und schwierigsten von allen Schülern. Er war einer der Älteren, der sich im Herbst ebenfalls der Aufnahmeprüfung für das College unterziehen sollte – ein verwöhnter junger Mann, hochmütig und großspurig, mit ungehobelten Manieren. In meiner allerersten Zeit an der Schule verhielt er sich mir gegenüber sehr anmaßend. Während die anderen Jungen am Waschtag ihre schmutzigen Laken falteten und sie auf die Pritschen legten, damit ich sie einsammeln konnte, ließ er sein Bettzeug einfach auf dem Boden liegen. Nach Tisch, wenn die anderen ihr Geschirr abtrugen und an den Spülbottich brachten, stand er auf und ließ seines stehen.
    Als er in der zweiten Woche sein Bettzeug wieder liegen ließ, machte ich mir nicht mehr die Mühe, es aufzulesen. Es war ein schöner Tag, und ich schaffte es, bis zum Abend die Wäsche zu trocknen und die Krägen zu bügeln. Als die Jungen auf den Dachboden zurückkehrten, fanden sie dort

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