Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
Mein Bruder hob argwöhnisch eine Augenbraue und sagte, ein Nachbar, der nicht ganz so weit entfernt wohne, freue sich sicher ebenso über diese freundliche Geste, doch am Ende gab er seine Zustimmung. Ich ging bis zu der Stelle, die früher einmal das äußerste Ende von Great Harbor markiert hatte. Als ich noch klein war und Iacoomis beschlossen hatte, sich dort niederzulassen, zimmerte er sich zunächst nach Art der Eingeborenen eine einfache Hütte aus Pfählen und Brettern. Diese hatte er dann im Laufe der Jahre vergrößert und zu einem soliden Lehmbau ausgeweitet, der sich nicht allzu sehr von den Häusern seiner englischen Nachbarn unterschied. Früher hatte das Gebäude in beträchtlichem Abstand von den Häusern der Engländer gestanden, doch da die Stadt längst über die alten Grenzen hinausgewachsen war und außer den Aldens keiner daran Anstoß nahm, lebte Iacoomis in jeder Hinsicht genauso wie alle anderen auch.
Wie es ein glücklicher Zufall wollte, traf ich Caleb draußen im Hof an, wo er mit Joels jüngeren Brüdern Murmeln spielte. Nachdem ich Iacoomis’ Frau, die den englischen Namen Grace trug, mein Anliegen mit der Wolle vorgebracht hatte, hielt ich mich einen Moment draußen auf und spielte eine Runde mit. Da uns bei dem fröhlichen Kindergeschrei keiner hören konnte, fragte ich Caleb auf Latein, ob denn sein Onkel Tequamuck wisse, dass wir am nächsten Morgen mit der Flut in See stechen würden. Caleb hob kurz den Kopf, und seine dunklen Augen musterten mich ernst. »Ich weiß, was du befürchtest«, sagte er auf Latein. »Und ich teile deine Angst. Ich habe ihm nichts davon gesagt. Seit dem Wurmmond haben wir kein Wort mehr miteinander gewechselt. Aber Tequamuck hört und weiß viel.«
»Wird er uns das antun, was er Vater angetan hat?«
»Mein Herz sagt mir, nein. Er liebt mich, Bethia, auch jetzt noch. Er hat mir stets mehr bedeutet als Vater oder Mutter. Ich glaube, er hegt immer noch die Hoffnung, dass ich irgendwann doch dem englischen Gott abschwöre. Und diese Hoffnung bedeutet auch Hoffnung für uns …«
In diesem Augenblick mussten wir unsere Unterredung beenden, weil Iacoomis persönlich aus der Hütte kam, um mir für das Geschenk und dafür zu danken, dass ich mich in Cambridge um Joels Wohlergehen kümmern würde, sowie um mir eine gute Reise zu wünschen.
Der nächste Tag bescherte uns strahlendes, fast windstilles Wetter, und wir mussten vor Anker liegen bleiben, bis am Nachmittag endlich ein wenig Wind aufkam. Die ganze Zeit über schaute ich beklommen ans Ufer, weil ich jeden Augenblick damit rechnete, auf den Klippen jenen federgeschmückten Umhang zu entdecken. Auch Calebs Blick ruhte oft dort, wie ich bemerkte. Doch sein Onkel tauchte nicht auf, und als sich die Segel bauschten und ein Ächzen durch die Mastbäume ging, konnten wir endlich in See stechen. Ich stand am Bug und schaute zurück, bis auch das letzte Stückchen Land nur noch ein flacher, dunkler Strich und schließlich ein Nebelstreifen am Horizont geworden war. Schließlich verschwamm auch der und war nicht mehr zu sehen. In diesem Moment wich meine Angst einem tiefen Gefühl des Heimwehs, das mich seither nicht mehr losgelassen hat.
Die Reise hierher ist gewiss auch ohne Hexerei beschwerlich genug, doch da bereits andere von ihren Unbilden berichtet haben, werde ich mir nicht die Mühe machen, sie hier noch einmal zu schildern und mich mit der Bemerkung begnügen, dass ich auf der Schaluppe kein Auge zutat, weil sie fast die gesamte Fahrt über auf beunruhigende Weise knirschte und ächzte. Als wir am nächsten Morgen in Boston vor Anker gegangen waren, hielt uns, nachdem wir mit viel Mühe ein Binnenboot gefunden hatten, der gefürchtete Ostwind bis Sonnenuntergang von einer Weiterfahrt ab. Der breite Fluss wand sich durch Sümpfe und Marschland, die im schwindenden Licht wie von Bronze übergossen wirkten. Als der Schiffer dann endlich den matten Schimmer des Binsenlichts sichtete, mit dem die Abzweigung in den Kanal markiert war, über den wir in den Hauptwasserweg von Cambridge gelangen konnten, war es bereits stockdunkel. Der Schiffer ließ uns von Bord und rief nach dem Fuhrmann, der in einer bescheidenen Hütte wohnte und auf Fahrgäste wartete. Sehen konnte ich jenseits des schmalen Lichtkegels der Karrenlampe nichts, doch meine neue Heimat war deutlich zu riechen. Von den großen Gemeindewiesen drang der Gestank von Vieh herüber, unter den sich der faulige und modrige Geruch von Brackwasser
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