Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
für ein Eheweib, dass es mehr weiß als der eigene Gatte …«
»Eheweib?« Ich war so entsetzt, dass ich ihn unterbrach, ohne eigentlich etwas sagen zu wollen. Schließlich war ich gerade erst zwölf Jahre alt geworden.
»Ja, Eheweib. Es ist noch zu früh, darüber zu sprechen, aber das ist es, was du sein wirst, und zwar in absehbarer Zeit. In deiner Demut und Bescheidenheit magst du, meine Tochter, es noch nicht bemerkt haben, aber jeder, der Augen im Kopf hat, sieht, dass aus dir einmal ein ansehnliches Frauenzimmer wird. Es ist bereits zur Sprache gekommen.« Ich glaube, bei diesen Worten wurde ich puterrot; und ganz gewiss brannte meine Haut so sehr, dass ich bis in die Haarspitzen das Gefühl hatte, lichterloh in Flammen zu stehen. »Mach dir keine Gedanken. Es ist nichts Unziemliches gesagt worden, und ich habe so geantwortet, wie es sich gehört, dass es nämlich noch Jahre dauern wird, bis es an der Zeit ist, über derlei Dinge nachzudenken. Doch es ist dein Schicksal, mit einem anständigen Mann aus unserer kleinen Gemeinschaft hier verheiratet zu werden, und ich würde dir keinen Gefallen tun, wenn ich dich dereinst zu ihm schicken und sich dann herausstellen würde, dass du ihm mit deinem fein geschliffenen Verstand in jedem Gespräch und jeder Angelegenheit des Alltags überlegen bist. Ein Mann muss der Herr im Hause sein, Bethia, so wie Gott über seine Gläubigen herrscht. Würden wir noch immer in England oder auch auf dem Festland leben, könntest du unter mehreren gebildeten Männern deine Wahl treffen. Doch hier auf dieser Insel geht das nicht. Du kannst recht gut lesen, das weiß ich, sogar ein wenig schreiben, genug, um ein Haushaltsbuch zu führen, wie es auch deine Mutter tut. Doch das genügt. Schon jetzt hebst du dich damit von den meisten anderen deines Geschlechts ab. Bereite dich auf deine hausfraulichen Pflichten vor, oder eigne dir etwas Kräuterwissen an, wenn dir so viel daran liegt, etwas zu lernen. Verwende deinen Verstand auf nützliche und ehrenwerte Dinge, so wie es sich für eine Frau geziemt.«
Tränen traten mir in die Augen. Ich schaute zu Boden, um es ihn nicht merken zu lassen, und fuhr mit meiner Holzpantine über den Boden. Seine Hand ruhte auf meinem gesenkten Kopf. Seine Stimme war sehr sanft. »Ist es denn so schrecklich, sich ein nützliches Leben vorzustellen, so wie es deine Mutter dir vorlebt? Sieh nicht hochmütig darauf hinab, Bethia. Es ist keine leichte Sache, ein geliebtes Eheweib zu sein, ein gottesfürchtiges Haus zu führen, Söhne großzuziehen …«
»Söhne?« Ich blickte zu Vater auf, und das Wort blieb mir im Halse stecken. Söhne wie Zuriel – ein gesunder, munterer Junge, den das Schicksal schon in frühen Jahren aus dem Leben gerissen hatte. Oder wie jener Säugling, der ebenfalls diesen Namen getragen hätte, wäre er länger am Leben geblieben als nur eine Stunde. Oder Söhne wie Makepeace, schwer von Begriff und arm an Gefühlen.
Mein Bruder war aus dem Haus getreten. Er stand hinter Vater, die Brauen zusammengezogen und die Arme über der Brust verschränkt. Trotz seiner finsteren Miene spürte ich, dass es ihm größtes Vergnügen bereitete, Zeuge meiner Zurechtweisung durch unseren Vater zu werden.
Vater sah auf einmal sehr erschöpft aus. »Ja. Söhne. Und auch Töchter, die, wie du sehr wohl weißt, ebenfalls damit gemeint sind. Gib dich zufrieden, darum ersuche ich dich. Wenn du unbedingt etwas lesen magst, so lies die Bibel. Besonders empfehle ich dir die Sprüche 31, Vers 10 bis 31 …«
»Du meinst Wem ein tugendsam Weib bescheret ist … ?« Ich hatte die Passage bereits gehört, weil mein Vater sie meiner Mutter vorgetragen hatte, auf die sie geradezu maßgeschneidert war, denn Mutter war wahrlich ein tugendsames Weib, das den lieben langen Tag mit all den Aufgaben zubrachte, die in den Sprüchen beschrieben wurden. Vater hatte ihr ins Gesicht geschaut und zuerst den hebräischen Text aufgesagt, dessen harte Konsonanten mich an den grellen Sonnenschein auf den trockenen Mauern von Davids Stadt erinnerten. Anschließend wiederholte er die Worte auch auf Englisch.
Zwei Sünden, die des Stolzes und die des Zorns, überwältigten mich in diesem Moment. Sie ließen sich nicht mehr zügeln, und so erhob ich die Stimme und sagte bockig: »Eshet chayil mi yimtza v’rachok …«
Vaters Augen weiteten sich, als ich das tat, und seine Lippen wurden dünn. Doch in diesem Moment fuhr Makepeace dazwischen, und seine Stimme war laut und
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