Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
gelegt, so wäre ich klug genug gewesen, ihn schnell wieder zurückzuziehen, und hätte nicht versucht, das Ding auch noch zu packen. Wo waren nur meine Selbstbeherrschung und meine lange geübte Zurückhaltung geblieben? Auf einmal schien ich wie dazu getrieben, meine innersten Gedanken auszusprechen, sie regelrecht auszuspucken wie Galle.
Ich will nichts darüber schreiben, wie er mich Makepeace übergab, damit dieser mich züchtigte. Nur eines will ich sagen: Als ich mich zwischen zwei Schlägen einmal umdrehte, um meinen Bruder anzuschauen, sah ich, dass seine Augen glasig, seine Lippen feucht und sein Gesicht voller Genugtuung waren. Ich schaute ihn nicht mehr an, selbst als ich meinen Rock senkte und ihm, wie es von mir erwartet wurde, dafür dankte, dass er mich gezüchtigt hatte.
Es gab keinen Ort, an dem ich ungestört gewesen wäre, um mich um meine nässenden Striemen zu kümmern, und so vernachlässigte ich sie, bis sie nur einen Tag später zu eitern begannen. Schon bei den Schnitten und Kratzern, die sich die Jungen manchmal zuzogen, hatte ich bemerkt, dass nichts an diesem Ort rasch heilte, so wie es bei jungem Fleisch eigentlich sein sollte. Natürlich gab es im Haus auch keine Salben oder dergleichen. Ich nahm mir vor, später im Frühjahr, wenn ich die richtigen Pflanzen finden konnte, entsprechende Tinkturen herzustellen, um die kleinen Verletzungen der jüngeren Schüler damit zu behandeln, ebenso für die eher seltenen Fälle, wenn der Master eigenhändig zur Gerte griff, um sie zu bestrafen. Dass ich einmal für mich selbst eine solche Arznei brauchen könnte, war mir nie in den Sinn gekommen. Einmal ertappte mich Anne dabei, wie ich unbeholfen versuchte, ein Stück Leinen um meine entzündeten Striemen zu wickeln. Da zog sie aus ihren Habseligkeiten eine Flasche mit einem scharf riechenden, kühlenden Balsam und trug ihn mit sanfter, geübter Hand auf.
Ich sagte niemandem etwas von der Züchtigung. Dennoch musste Anne etwas davon Caleb gegenüber angedeutet haben, denn als ich ihm an jenem Tag im Flur begegnete, neigte er mir seinen Kopf zu und flüsterte: »Deinen Bruder lass nur meine Sorge sein.«
»Auf gar keinen Fall!«, zischte ich. »Du musst dich da heraushalten!« Doch er war bereits an mir vorbeigegangen und richtete seine Aufmerksamkeit scheinbar ganz auf den Rücken des Buches, das er in der Hand hielt. Am nächsten Tag konnte Makepeace nicht aufstehen. Er litt unter schweren Koliken, die so schlimm waren, dass er jedes Mal vor Schmerz stöhnte, wenn ein neuer Krampf seinen Körper durchfuhr oder er mit letzter Kraft und taumelnd auf den Abort stolperte, was er in zwölf Stunden mindestens ebenso viele Male musste. Ich muss eins gestehen: Ich bin keine Heilige, und sein Leiden bereitete mir durchaus ein gewisses Vergnügen. Dennoch erkundigte ich mich bei Caleb, was man denn bei seinem Volk für eine Arznei kenne, die in einem solchen Fall den Krämpfen Einhalt gebieten könne, und schickte irgendwann sogar einen Jungen in die Apotheke, um ihn die genannten Ingredienzen holen zu lassen.
Was mich betraf, so war meine Strafe noch nicht vorüber. Sie fand am darauffolgenden Tag des Herrn ihre Fortsetzung, als ich dazu gezwungen wurde, in der Versammlung offen für meine Vergehen einzustehen. Dafür musste ich mich am Nachmittag von meinem Platz erheben und meine Reue dafür erklären, mich auf unangebrachte und gotteslästerliche Weise geäußert zu haben. Eine ganze Woche danach musste ich mir einen Zettel an die Bluse heften, auf dem die Worte des Psalms standen: Ich will mich hüten, dass ich nicht sündige mit meiner Zunge. Ich will meinen Mund zäumen. Dies war sehr unangenehm, weil sich die jüngeren Schüler bemüßigt fühlten, mich zu verspotten, indem sie mir die Zunge herausstreckten oder jedes Mal, wenn ich ihnen den Rücken kehrte, wie ein Pferd zu wiehern.
Als sieben Tage vergangen waren, durfte ich mir den Zettel von der Brust reißen und warf ihn in den Ofen, den ich bereits für das Backen des morgendlichen Brotes geheizt hatte. Während ich dabei zuschaute, wie er verbrannte, beschloss ich, mir die Bitterkeit, die in meinem Herzen Wurzeln geschlagen hatte, mit Stumpf und Stiel herauszureißen. Ich tat mein Bestes, meinen Ärger, die Kränkung, ja den Hass in mir zu zügeln. Denn so weit war es in der Tat gekommen: dass ich diejenigen, mit denen ich so eng zusammenlebte, begonnen hatte zu hassen. Beim Gebet schalt ich Gott dafür, dass er Zuriel und Solace zu
Weitere Kostenlose Bücher