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Inselglück

Inselglück

Titel: Inselglück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elin Hilderbrand
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um mit sofortiger Abreise zu drohen, aber wo um alles in der Welt sollte sie hin?
    »Möchte jemand was zu essen?«, fragte Connie munter.
    Toby sah gut aus, doch das irritierte Meredith nur noch mehr. Sie fand ihr Gleichgewicht nicht. Es gab so vieles, was sie beschäftigte, und jetzt auch noch er. Hier, höchstpersönlich. Sein Haar war wie früher, sein Gesicht ebenfalls, nur älter, mit Falten und Sonnenflecken, aber er war immer noch ein prachtvoller goldener Löwe von einem Mann. Waren sie wirklich dieselben Menschen, die sich unter dem Baum an der Robinhood Road geküsst, in der Bibliothek der Martins geliebt hatten? Darauf gab es zwei Antworten: Sie waren es. Und sie waren es nicht.
    »Ich würde gern was essen«, sagte Toby.
    »Meredith?«, fragte Connie.
    »Nein, danke.« Meredith konnte kaum atmen, geschweige denn essen. »Ich glaube, ich gehe nach oben und lege mich hin.«
    »Lass dich nicht von mir vertreiben«, sagte Toby.
    »Du … « Meredith war sich nicht ganz sicher, wie sie es formulieren sollte. Du vertreibst mich nicht. Du hast nicht die Macht, mich zu vertreiben. Du hast gar keine Macht über mich. Sie war leicht benommen. »Connie hat dir ja bestimmt erzählt, dass wir ein paar harte Tage hinter uns haben. Ich bin erschöpft.«
    »Bleib doch hier unten bei uns«, bat Connie. Sie war schon in der Küche, toastete Brot für Sandwiches und schnitt eine Zitrone für den Eistee auf. »Auch wenn du nichts isst, können wir uns doch zusammen raussetzen.«
    »Lasst ihr euch euren Lunch schmecken«, sagte Meredith. »Bringt euch auf den neuesten Stand. Unterhaltet euch als Geschwister.«
    »Meredith«, warnte Connie. »Hör auf damit.«
    Toby legte Meredith beide Hände auf die Schultern. Sie schloss die Augen und versuchte, nicht zu denken. »Komm raus mit uns«, sagte er. »Bitte.«
    Zu dritt setzten sie sich draußen an den Tisch. Connie und Toby aßen Sandwiches, die des Titelbilds einer Gourmetzeitschrift würdig gewesen wären. Merediths Magen knurrte, doch sie wollte ihren Hungerstreik aufrechterhalten. Sie nippte an ihrem Eistee. Ihr Rücken war dem Meer zugewandt, denn sie ertrug es nicht, aufs Wasser zu schauen. Gedanken an Harold mit aufgeschlitzter Kehle, an Blut überall, dickflüssig und zäh wie ein Ölteppich, erfüllten sie.
    »Also … ich bin hier, weil ich mein Boot verkauft habe«, sagte Toby.
    Meredith nickte.
    »Ich hatte die Bird’s Nest fast zwanzig Jahre, deshalb war es nicht leicht«, fügte er hinzu. »Aber letztlich war sie, sage ich mir, bloß ein Gegenstand.«
    Bloß ein Gegenstand. Damit konnte Meredith sich identifizieren. Sie hatte so viele Gegenstände verloren: den Range Rover, das Calder-Mobile, die Dior-Robe. Und vermisste sie einen davon? Kein bisschen.
    »Es ist schwer, sich Toby ohne Boot vorzustellen«, sagte Connie.
    Wieder nickte Meredith. Wann immer sie im Laufe der Jahre an Toby gedacht hatte, hatte sie ihn im Steuerstand eines Segelboots vor sich gesehen, Leinen in der Hand, die Sonne im Gesicht, all seine weltliche Habe in genau demselben blauen Seesack, mit dem er heute ins Haus getreten war. Diesen Seesack hatten ihm seine Eltern zum Highschoolabschluss geschenkt; Meredith hatte neben ihm gesessen, als er ihn auspackte. Damals ahnte sie nicht, dass er zu einem Symbol für Tobys Leben werden sollte: Er wollte seinen Besitz immer in diesem Seesack bei sich tragen können, damit es ihm freistand, jederzeit zu gehen, sich einem neuen Ort, neuen Menschen zuzuwenden, ohne Verpflichtungen.
    Aber eine Verpflichtung gab es doch, oder?
    »Erzähl mir von deinem Sohn«, sagte Meredith.
    »Michael ist jetzt zehn«, sagte Toby. »Er lebt in New Orleans bei seiner Mutter und ihrem neuen Ehemann.«
    »Zehn ist das beste Alter«, sagte Meredith. Alles schmerzte sie: ihre Vergangenheit, ihre Gegenwart, ihre Zukunft. Denn plötzlich überkamen sie Erinnerungen an Leo und Carver mit zehn. Leo hatte sich von seinen Eltern eine Ray-Ban-Sonnenbrille gewünscht, und Freddy hatte verlangt, dass er sich die hundertneununddreißig Dollar selbst verdiente, indem er in der Kirche für Pater Morrissey arbeitete. Meredith war hingegangen, um nach ihm zu sehen, hatte ihn dabei angetroffen, wie er auf Händen und Knien Kerzenwachs von den Holzdielen kratzte, und sich spontan auch hingekniet, um zu helfen. Doch Leo hatte gesagt: Nicht, Mom. Das ist mein Job. Und Meredith war widerwillig aufgestanden und hatte ihm die Sache überlassen.
    Carver hatte mit zehn zu surfen angefangen. Er

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