Inselglück
Meredith schwebte in einem Vakuum aus weißem Rauschen und wartete darauf, dass durch den Nebel, durch das Telefon in ihrer Hand eine Antwort kam.
»Nein«, versicherte Rae. »Er ist nicht tot. Auch nicht verletzt.«
Meredith nahm die Dinge um sie herum wieder wahr, obwohl sie nach wie vor desorientiert war. Sie redete nicht mit Ashlyn und nicht mit einer Telefonverkäuferin, die versuchte, ihr ein Abonnement anzudrehen. Es ging irgendwie um Freddy. Sie setzte sich auf die glatte weiße Baumwollwäsche von Connies Bett. Dort auf dem Nachttisch stand Connies Radiowecker, dessen blaue Ziffern verkündeten, dass es 7 Uhr 16 war. Meredith hätte doch wissen müssen, dass es einen schrecklichen, furchtbaren, bestürzenden Grund hatte, wenn das Telefon um sieben Uhr morgens klingelte.
»Und was dann?«, fragte sie. »Was ist passiert?«
»Bundesbeamte haben Hinweise auf eine Affäre zwischen Ihrem Mann und einer gewissen Mrs Samantha Deuce gefunden. Ihre Innenarchitektin?«
Innenausstatterin, dachte Meredith automatisch. Der Titel »Innenarchitektin« stand Samantha nicht zu.
»Und heute Morgen um zwei Uhr hat Mrs Deuce dies gegenüber der Presse bestätigt. Sie hat erklärt, sie und Ihr Ehemann seien sechseinhalb Jahre zusammen gewesen.«
Meredith rang nach Luft. Oh Gott, es stimmt, dachte sie. Es stimmt wirklich, Samantha und Freddy, sie hat es zugegeben, es ist wahr! Und dann dachte sie: Leg auf! Aber dazu konnte sie sich nicht überwinden.
»Ist Ihnen das neu?«, fragte Rae.
War es Meredith neu? Ja. Und auch wieder nicht. »Ja«, flüsterte sie. Ihre Lippen waren nass von Speichel.
»Das tut mir leid«, sagte Rae. Und es klang, das musste Meredith einräumen, als meinte sie es ernst. »Ich dachte nicht … ich dachte, Sie wüssten Bescheid.«
»Also, jetzt ist hoffentlich klar«, sagte Meredith und räusperte sich, »dass ich nichts über das wusste, was Freddy hinter verschlossenen Türen tat.«
»Okay«, erwiderte Rae Riley-Moore. »Es wäre also angemessen festzustellen, dass Sie schockiert und verletzt sind.«
Schockiert? Konnte sie das ehrlich behaupten? Verletzt, ja. Und nichts an der ganzen Sache war angemessen.
»Sie wollen mir also sagen, Samantha hat es zugegeben? « , fragte Meredith nach. »Sie wollen mir sagen, dass sie sechseinhalb Jahre zusammen waren?«
»Seit Sommer 2004«, bestätigte Rae.
Sommer 2004: Meredith durchforstete ihr Gedächtnis. Cap d’Antibes? Nein, Samantha war nie bei ihnen in Frankreich gewesen, obwohl sie darauf angespielt hatte, oder? Southampton? Ja, in Southampton hatte Samantha sie oft besucht – ihr und Trent gehörte ein Haus in Bridgehampton. Samantha, so erschien es Meredith jetzt, war immer gegenwärtig gewesen. Sie hatte drei der vier Immobilien der Delinns eingerichtet, bis hin zu den Teelöffeln, bis hin zu den puristischen Designertoiletten. Samantha war ihre Geschmacksberaterin gewesen, ihre Stylistin. Sie und Meredith waren zusammen shoppen gegangen; Samantha hatte Kleider für Meredith ausgesucht und Anzüge, die Meredith Freddy kaufen sollte. Sie hatte auf den Yankees-Kinkerlitzchen und antiken Spardosen für Freddys Bibliothek bestanden.
Meredith hatte sie in seiner Bibliothek zusammen gesehen, Freddys Hand auf Samanthas Kreuz, und doch ignoriert, weil sie gedacht hatte: Nein, nicht Freddy. Niemals.
»Waren sie … sind sie … ineinander verliebt?«, fragte sie. Sie fasste es nicht, dass sie einer vollkommen Fremden diese Frage stellte, aber sie musste die Antwort wissen. Sie versuchte sich zu erinnern: War Samantha bei der Verfahrenseröffnung dabei gewesen? Nein. Bei der Verurteilung? Das wusste Meredith nicht, weil sie selbst nicht dabei gewesen war. Meredith hatte nach der Verhaftung nichts von Samantha gehört – es war kein Anruf gekommen, keine E-Mail, nur eine Rechnung über ein kleines Kunstwerk für Freddys Büro, die eintraf, als Freddy schon im städtischen Gefängnis war. Sie hatte kein Geld, um sie zu bezahlen. Es war, so entsann sie sich jetzt, ein Foto von einer asiatischen Stadt gewesen, die Meredith nicht erkannt hatte.
»Malakka«, hatte Freddy gesagt, als Meredith ihn wenige Wochen vor dem Zusammenbruch seiner Firma bei der Arbeit besucht hatte. Ihr war die hinter seinem Schreibtisch hängende Fotografie aufgefallen, und sie hatte danach gefragt. »Die kulturelle Hauptstadt von Malaysia.«
Das Foto hatte zwölfhundert Dollar gekostet.
Zwölfhundert Dollar, dachte Meredith jetzt. Für das Bild von einem Ort, wo wir nie
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