Inselglück
werden, und das bedeutete, dass sie mit dem Rücken zum Meer auf der Terrasse stand. Es war nervtötend, das musste sie zugeben. Immer wieder drehte sie sich um, aber nie war jemand zu sehen.
Auf Merediths Bitte aßen sie drinnen. Sie brauchten ein unverfängliches Gesprächsthema, also eins, das sich auf die Vergangenheit bezog. Jugend, Highschool – nur nicht Toby. Meredith grub erneut die Namen Wendy Thurber und Nadine Dexter aus, und sobald Connie die Trümmer ihrer Erinnerung archäologisch gesichtet und herausgefunden hatte, zu wem diese Namen gehörten, schrie sie laut auf. Wendy und Nadine waren gute, enge Freundinnen gewesen, einst Teil von Connies Alltag, aber sie hatte sie seit über dreißig Jahren nicht gesehen. Wie es Wendy und Nadine wohl jetzt ging? Meredith hatte Wendy als anhänglich und sentimental in Erinnerung und Nadine als stämmige künftige Lesbe.
»Ja, ich auch«, sagte Connie, obwohl das alles so lange her und ihr Gedächtnis so schlecht war, dass ihr gar nichts anderes blieb, als zuzustimmen.
Um halb zehn verkündete Meredith, sie werde nach oben gehen. »Für mich ist es Schlafenszeit«, sagte sie, und Connie entsann sich, dass Meredith wie auch Freddy immer früh zu Bett gegangen waren, als seien sie Kinder, die am nächsten Morgen Schule hatten.
»Freddy ist nicht hier«, sagte Connie und schenkte sich ein drittes Glas Wein ein. »Du darfst also noch mit mir hier sitzen.«
»Hast du Angst, allein aufzubleiben?«, fragte Meredith. »Gib’s zu.«
»Ich habe keine Angst, allein aufzubleiben. Aber Gesellschaft wäre mir lieber.«
Meredith steuerte die Treppe an, was wohl bedeutete, dass es ihr egal war, ob Connie sich Gesellschaft wünschte (und ja, ein bisschen Angst hatte Connie tatsächlich), und sagte: »Wie es wohl für ihn ist?«
»Für wen?«
»Für Freddy. Im Gefängnis.«
Connie war in Versuchung, etwas Unfreundliches zu sagen, entgegnete jedoch: »Bestimmt absolut schauderhaft.«
»Ja, das glaube ich auch«, sagte Meredith. »Aber wenn ›absolut schauderhaft‹ nun noch schlimmer ist, als wir beide uns vorstellen können?«
»Macht dir das was aus?«
Darauf antwortete Meredith nicht.
»Liebst du ihn noch?«, fragte Connie.
»Ich gehe rauf«, sagte Meredith, und Connie war froh. Sie hatten sich weit wegbewegt von unverfänglichen Themen.
Connie beschäftigte der Anruf aus Tallahassee. Eigentlich hätte sie ja nur zurückrufen müssen, aber sie hatte Angst, dass diese Telefonnummer sich als Sackgasse erweisen und ihre Hoffnung auf neuen Kontakt mit ihrer Tochter zunichtemachen würde. Je länger sie den Anruf aufschob, desto länger bestand die theoretische Möglichkeit einer Versöhnung. Und außerdem befürchtete sie, dass sie, wenn Ashlyn abhob, nicht wissen würde, was sie nach knapp zweieinhalb Jahren Funkstille sagen sollte. Wie konnte sie verhindern, dass sie zusammenbrach und weinte oder wütend wurde und ihre Tochter anschrie – und damit alles nur noch schlimmer machte?
Sie trank ihr drittes Glas Wein aus und dann, während sie das Geschirr spülte, den Rest aus Merediths Glas. Danach hatte sich ihre Angst fast ganz verflüchtigt. Sie schaute noch einmal auf ihr Handy. Die Nummer aus Tallahassee erschien auf dem Display. Dies war der Moment.
Sie drückte auf den Knopf, der die Nummer anwählte. Dann wappnete sie sich. Ein Freizeichen, zwei, drei … sieben, acht … Mailbox, eine computergenerierte Stimme, die nicht erkennen ließ, wer Connie angerufen hatte. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht.
Connie holte tief Luft. Eine Nachricht hinterlassen? Sie hinterließ jeden Sonntag eine Nachricht auf Ashlyns Handy, ohne je einen Rückruf zu erhalten. Warum sollte es diesmal anders sein?
Und doch konnte sie nicht widerstehen und sagte: »Ashlyn, hier ist Mom. Ich sehe, dass du angerufen hast. Falls du zurückrufen möchtest, ich bin hier auf Nantucket, wie du ja sicher weißt. Ich habe dir was Unglaubliches zu erzählen.« Sie hielt inne. Unglaublich war, dass sie die Neuigkeit über Meredith als Köder benutzte. »Ruf mich bitte zurück.« Sie schaute auf das Display ihres Telefons, auf die dahintickenden Sekunden, als ob sie erwartete, dass der Apparat selbst antwortete. »Ruf mich an«, sagte sie noch einmal, dann legte sie auf.
Sie hätte keine Nachricht hinterlassen sollen.
Hatte sie betrunken geklungen? Bei dem wie du ja sicher weißt war ihr ein leichtes Nuscheln unterlaufen. Würde es Ashlyn auffallen?
Connie warf sich aufs Sofa. Sie hasste
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