Inselglück
Meredith war. Es erschien ihr nicht richtig, dass eine so vertraute Person – mit der sie unzählige Male zu Mittag gegessen, neben der sie Tausende Tennisbälle geschlagen hatte – derart bedrohlich wirkte. Sie war Merediths Freundin gewesen. Aber so ging es zu auf der Welt. Es war nicht der schwarze Mann im Wandschrank, den man fürchten musste; die Menschen, die man mochte und schätzte, konnten einen viel schlimmer verletzen.
»Hübsche Perücke«, sagte Amy. Sie streckte die Hand aus, um sie zu berühren – womöglich sogar herunterzureißen – , doch Meredith wich zurück.
Sie antwortete nicht. Gabriella hielt immer noch Merediths Schuhe. Sehr langsam, als wäre eine Waffe auf sie gerichtet, griff Meredith nach den Schuhen. Amys Blick wanderte zu Merediths Füßen, dann zu Gabriella.
»Sie haben dieser Frau eine Pediküre gemacht?«
»Ja«, sagte Gabriella mit einem Anflug von russischer Schärfe in der Stimme.
»Wissen Sie, wer sie ist?«
Gabriella zuckte die Achseln, jetzt weniger sicher wirkend. »Marion?«
»Ha!«, sagte Amy voller Spott über Gabriellas Leichtgläubigkeit. Wieder an Meredith gewandt, fragte sie: »Hast du meine Nachricht gekriegt?«
Meredith nickte.
»Dein Mann hat mein ganzes Geld gestohlen. Neuneinhalb Millionen Dollar. Und ich bin noch eine von den Glücklichen, weil ich einen Job habe und Jeremy einen Job hat, aber wir mussten das Haus in Palm Beach verkaufen und Madison von der Hotchkiss nehmen.«
»Es tut mir leid«, flüsterte Meredith.
»Aber wie ich schon sagte, ich habe noch Glück gehabt. Ehrlich, ich weiß nicht, wie du so selbstverständlich auftreten kannst – Sommerferien auf Nantucket, Besuche im Kosmetiksalon – , nachdem du so viele Menschen ruiniert hast. Es gibt Leute, die sind pleite deinetwegen, Meredith, und nicht nur pleite, sondern seelisch gebrochen. Kirby Delarest, unser Nachbar in Palm Beach, hat sich das Gehirn weggepustet. Er hatte drei kleine Töchter.«
Meredith schloss die Augen. Sie kannte Kirby Delarest. Er war Investor bei Freddy und gut mit ihm bekannt, wenn auch nicht direkt befreundet gewesen, denn Freddy hatte keine Freunde. Aber Kirby Delarest war gelegentlich bei ihnen vorbeigekommen. Einmal hatten Freddy und Kirby mitten am Tag am Pool Steaks gegrillt und einen besonderen, teuren Wein getrunken, den Kirby bei einer Auktion erstanden hatte, und Cohibas geraucht. Meredith hatte das seltsam gefunden, weil Freddy nie trank, schon gar nicht unter der Woche und mitten am Tag, aber Freddy hatte überschwänglich erklärt, er und Kirby hätten etwas zu feiern. Was feiert ihr?, fragte Meredith. Wegen der Zigarren dachte sie, Kirbys Frau Janine erwarte vielleicht wieder ein Baby. Gibt es etwas, das ich wissen sollte? Doch Freddy nahm sie nur in die Arme und wirbelte mit ihr über die steinerne Terrasse und sagte: Tanz mit mir, Schöne. Liebe mich. Du bist das große Los für mich. Du bringst mir Glück. Meredith war neugierig, wenn nicht gar misstrauisch, aber sie beschloss, die Situation einfach zu genießen, und fragte nicht weiter nach. Wahrscheinlich stießen Freddy und Kirby auf noch mehr Geld, ein gutes Geschäft, ein gewonnenes Spiel, noch unglaublichere Renditen an. Kirby war ein großer, schlanker Mann mit weißblonden Haaren und einem Akzent, den sie nicht einordnen konnte. Er klang europäisch – holländisch vielleicht – , doch als sie sich einmal nach seiner Herkunft erkundigte, behauptete er, er sei aus Menasha, Wisconsin, was seine heitere Ausgeglichenheit und sein skandinavisch gutes Aussehen sowie Freddys Zuneigung zu ihm erklärte. Freddy liebte Leute aus dem Mittleren Westen. Er meinte, sie seien die ehrlichsten Menschen auf Erden.
Meredith hörte zum ersten Mal, dass Kirby Delarest sich erschossen hatte. Samantha war auch Kirbys und Janines Innenausstatterin gewesen; Freddy und Meredith hatten sie den beiden vorgestellt. Meredith fragte sich, ob Samantha Bescheid wusste.
Gabriella und die Rezeptionistin standen abwartend da, und Meredith merkte plötzlich, dass es bis auf den leisen Gesang von Billie Holiday still war im Salon.
»Das tut mir leid«, sagte sie. »Ich hatte keine Ahnung.«
»Keine Ahnung? «, entgegnete Amy. Sie machte einen Schritt auf Meredith zu, so dass Meredith den Zigarettenqualm an ihr riechen konnte. Sie hatte nicht gewusst, dass Amy rauchte; womöglich durch den Stress, verursacht von Freddy.
»Keine Ahnung«, wiederholte Meredith. »Von nichts.«
»Und das soll ich dir glauben? Jeder
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