Inseln im Netz
war mit Grace immer gut ausgekommen.
Kims publikumswirksames Auftreten erzeugte in Laura zwiespältige Empfindungen. Sein Einfluß auf diesen kleinen Stadtstaat war von einer beinahe erotischen persönlichen Intimität. Es war, als hätte Singapur ihn geheiratet. Seine Volkserneuerungspartei hatte die Opposition mit dem Wahlzettel vernichtet. Demokratisch und legal, doch war die Republik Singapur jetzt ein Einparteienstaat.
Die ganze kleine Republik mit ihrem wimmelnden Verkehr und ihrer fröhlichen, disziplinierten Bevölkerung war jetzt in den Händen eines zweiunddreißigjährigen visionären Genies. Seit er mit dreiundzwanzig als Abgeordneter ins Parlament gewählt worden war, hatte Kim Lok den öffentlichen Dienst reformiert, eine umfassende Planung zur Stadtentwicklung eingeleitet und die Streitkräfte revitalisiert. Und während er in eine Reihe allseits bekannter Liebesaffären verstrickt gewesen war, hatte er außerdem noch die Zeit aufgebracht, Studienabschlüsse in Politikwissenschaft und Ingenieurswesen zu erlangen. Sein Aufstieg zur Macht war unaufhaltsam gewesen, getragen von einer seltsamen Mischung von Drohung und jugendlichem Charme.
Die Soldaten beendeten ihre Vorführung, nahmen Haltung an und salutierten. Die Menge erhob sich zum Absingen der Nationalhymne, einem eingängigen Gassenhauer in verlangsamtem Tempo, der mit den Worten ›Zähl auf mich, Singapur‹ begann. Zehntausende von lächelnden, ordentlich gekleideten Chinesen, Malaien und Tamilen sangen sie alle auf englisch.
Die Menge nahm ihre Tribünenplätze wieder mit dem lauten, eigentümlichen Geraschel ein, das von Tonnen bewegten menschlichen Fleisches ausgeht. Sie rochen nach Sassafras und Sonnenöl und Speiseeis. Suvendra setzte das Fernglas an und richtete es auf das kugelsichere Glas der Prominententribüne. »Jetzt kommt die große Ansprache«, sagte sie zu Laura. »Er mag mit der Raumfahrt anfangen, aber enden wird er mit der Grenada-Krise. Sie sollten eine Tonaufzeichnung machen, um seine Rhetorik zu studieren.«
»Richtig.« Laura schaltete ihr kleines Kassettengerät ein.
Erwartungsvoll blickten sie zum Videoschirm.
Der Premierminister erhob sich, steckte die Sonnenbrille achtlos in die Brusttasche seines Anzugs. Er umfaßte mit beiden Händen den Rand des Rednerpults und beugte sich zum Mikrofon, das Kinn vorgereckt, die Schultern gespannt.
Eine gespannte und aufmerksame Stille ergriff Besitz von der Menge. Die Frau neben Laura, eine chinesische Matrone in Stretchhosen und einem Strohhut, drückte nervös die Knie zusammen und stieß die Hände in den Schoß. Der Mann, der Sonnenblumenkerne gemümmelt hatte, stellte den Beutel zwischen seine Füße.
Nahaufnahme. Kopf und Schultern des Premierministers ragten zehn Meter hoch auf der Video-Anzeigetafel. Eine seidenweich verstärkte Stimme, glatt und vertraulich, tönte aus dem hervorragend eingestellten Lautsprechersystem.
»Meine lieben Mitbürger«, sagte Kim.
Suvendra flüsterte hastig: »Das wird eine bedeutende Ansprache, ganz sicher!« Der Mann mit den Sonnenblumenkernen zischte tadelnd um Stille.
»In den Tagen unserer Großeltern«, begann Kim, »besuchten Amerikaner den Mond. Zu dieser Stunde umkreist noch immer eine alte Raumstation unsere Erde.
Doch hat das größte Abenteuer der Menschheit bis heute ein halbvergessenes Schattendasein gefristet. Die Mächte außerhalb unserer Grenzen sind an einem neuen Aufbruch nicht mehr interessiert. Die Globalisten haben diese Ideale erstickt. Ihre unbeholfenen, altmodischen Raketen erinnern noch an die nuklearen Gefechtsköpfe, mit denen sie einst die Welt bedrohten.
Aber meine Damen und Herren, liebe Mitbürger, heute kann ich vor Ihnen stehen und Ihnen sagen, daß die Welt nicht mit dem Weitblick Singapurs gerechnet hat!«
Begeisterter Applaus. Der Premierminister wartete lächelnd. Er hob die Hand, und Stille kehrte ein.
»Der Orbitalflug Hauptmann Yong-Joos ist die größte raumfahrttechnische Errungenschaft unserer Ära. Seine Leistung zeigt der ganzen Welt, daß unsere Republik jetzt über die fortgeschrittenste Technik auf Erden verfügt. Technik, die sauber, schnell und effizient ist - eine Frucht wissenschaftlich-technischer Durchbrüche auf den Gebieten der Supraleiter und modulationsfähigen Lasern. Neuerungen, die anderen Nationen unerreichbar zu sein scheinen - oder die sie sich nicht einmal vorstellen können.«
Ein halb mitleidiges Lächeln von Kim. Wilde Freudenschreie aus den sechzigtausend
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