Inseln im Netz
Mitte der Fünfzig, das ölige blauschwarze Haar im Nacken verknotet, und mit zerbrechlich aussehenden, abstehenden Ohren. Sie trug ein gelbes Kleid, einen Tennishut und ein Rizome-Halstuch. Auf ihrer anderen Seite kaute ein fleischiger Europäer Sonnenblumenkerne und spuckte die Schalen sorgsam in einen kleinen Plastikbeutel.
»Ah, richtig.« Das also war Singapurs Astronaut, wie er aus seinem Schutzhelm grinste. Die Wiedergabe erinnerte an einen abgeschnittenen Kopf, der in einem Fernsehgerät steckte.
Ein Donnern, ein schrilles Jaulen vom Westhimmel.
Laura krümmte sich unwillkürlich. Sechs mattschwarze Kampfflugzeuge der Luftwaffe von Singapur fegten im Tiefflug über das Stadion, bösartig aussehende Geräte. Es waren Maschinen der Kunstflugstaffel… Chromengel, oder wie sie sich nannten. Drei bliesen orangefarbene Rauchfahnen korkenzieherartig aus den Spitzen ihrer Dreiecksflügel. Die Menge sprang begeistert auf, jubelte und winkte mit ihren Programmblättern.
Die Brigaden der Jungen und Mädchen ergossen sich auf das Fußballfeld, einheitlich gekleidet in weiße Hemden und Blusen und rote Hosen und Röcke, kleine Schirmmützen auf dem Kopf. Sie stellten sich in Formationen auf und wirbelten lange, gebänderte Wimpel an Besenstielen. Präzise marschierende, tanzende, fahnenschwenkende Schulkinder, denen man aus der Entfernung nicht ansah, daß sie ein buntes Rassengemisch von Chinesen, Malaien, Indern und Tamilen waren.
»Sie sind sehr gut einexerziert, nicht?« sagte Suvendra.
»Ja.«
Am östlichen Ende des Stadions ragte eine VideoAnzeigetafel auf. Sie zeigte jetzt eine Direktübertragung der Fernsehaufnahmen vom Singapurer Rundfunkdienst. Auf dem Bildschirm erschien eine Nahaufnahme aus der Prominentenloge des Stadions. Die einheimischen Bonzen verfolgten das Schauspiel mit jenem strahlenden, gefühlvollen Ausdruck, den Politiker für die Kinder der Wähler reservieren.
Laura versuchte sie zu identifizieren. Der Mann im Leinenanzug war S. P. Jeyaratnam, Singapurs Regierungsbeauftragter für Funk und Fernsehen, ein Tamile mit buschigen Brauen und dem unbestimmt salbungsvollen Ausdruck eines der blutdürstigen Göttin Kali opfernden Mitgliedes der Thug-Raubmörderkaste. Jeyaratnam war ein ehemaliger Journalist, jetzt einer der mächtigsten Männer der Volkserneuerungspartei. Er war ein wortgewandter Mann mit einem Talent für unterschwellige Beleidigungen; Laura hatte sich ungern seinen Angriffen gestellt.
Singapurs Premierminister bemerkte die Fernsehkamera. Er schob seine goldumrandete Sonnenbrille auf die Nase und spähte über den Rand hinweg ins Objektiv. Er zwinkerte.
Die Menge wand sich vor Vergnügen.
Der Premierminister schmunzelte liebenswürdig und murmelte der Frau neben sich etwas zu. Es war eine junge chinesische Schauspielerin mit hochaufgetürmtem Haar und einem golddurchwirkten Chiton. Sie lachte mit geübtem Charisma. Der Premierminister warf eine glatte, schwarze Haarsträhne aus der Stirn. Seine kräftigen jungen Zähne blitzten.
Die Videokamera verließ die Prominenz und schwenkte zu den stiefelbekleideten Beinen einer Tambourmajorin an der Spitze einer Schar weiblicher Spielleute.
Die Kinder verließen das Stadion, begleitet von freundlichem Applaus, und zwei lange Reihen Militärpolizisten marschierten ein. Stahlhelme mit weißen Kinnriemen, weiße Gürtel, frisch gebügelte Khakiuniformen, blitzblanke Stiefel. Die Soldaten stellten sich vor den Tribünen auf und begannen mit Gewehrexerzieren.
»Kim sieht heute gut aus«, sagte Suvendra. In Singapur nannte jedermann den Premierminister beim Vornamen. Sein voller Name war Kim Swee Lok - oder Lok Kim Swee, für seine chinesischen Landsleute.
»Mmh«, sagte Laura.
Suvendra berührte Lauras Arm leicht wie ein Schmetterling. »Sie sind still heute abend. Noch müde von der Anhörung?«
»Er erinnert mich an meinen Mann«, platzte Laura heraus.
Suvendra lächelte. »Er ist ein gutaussehender Bursche, ihr Mann.«
Laura verspürte Unbehagen. Sie war ohne Pause um die Welt geflogen, und die Zeitumstellung und der Kulturschock hatten seltsame Nebenwirkungen. Irgendeine nach Grundmustern forschende Seite ihres Verstandes drohte heißzulaufen. Sie hatte in Singapur Ladenverkäufer mit den Gesichtern von Popstars gesehen, und Polizisten, die wie Präsidenten aussahen. Und Suvendra erinnerte Laura irgendwie an Grace Webster, ihre Schwiegermutter. Keine körperliche Ähnlichkeit, aber die Ausstrahlung, das Gefühl war da. Laura
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