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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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ausrufen - die Ermächtigung durch das Parlament vorausgesetzt… notwendig, um unsere Bürger gegen Subversion zu schützen. gegen Angriffe der Globalisten, oder Schwarzen. Der Grenadiner. Der… der Nigger!«
    Kim taumelte vom Rednerpult zurück. Er blickte wieder nach links und rechts, schwindlig, haltsuchend. Abseits der Kamera redeten besorgte Stimmen durcheinander.
    »Was sagte ich?« murmelte Kim. Er zog an seinem Einstecktuch, und seine Brille fiel klappernd zu Boden. Er wischte sich Stirn und Nacken, dann ergriff ihn ein plötzlicher Krampf, er stolperte vorwärts und schlug aufs Rednerpult. Sein Gesicht lief rot an, und er schrie einen Strom zusammenhangloser Verwünschungen, Obszönitäten und Beleidigungen in die Mikrofone.
    Entsetzte Schreie. Ein dumpfes Getöse, als die Menge der Sechzigtausend in Verwirrung aufstand.
    Kim erschlaffte und brach hinter dem Rednerpult zusammen.
    Plötzlich sprang er wieder auf, wie eine Marionette. Er öffnete den Mund.
    Im nächsten Augenblick erbrach er Blut und Feuer. Bleiche Flammen schossen ihm aus Mund und Augen. Innerhalb von Sekunden schwärzte sich sein Gesicht von unmöglicher Hitze. Ein ohrenbetäubender, qualvoller Schrei gellte aus dem Lautsprecher, ein Geräusch wie von zerreißendem Blech und dem Geheul verdammter Seelen.
    Sein Haar flammte auf wie eine Fackel, seine Haut wurde dunkel geröstet, kräuselte sich und platzte. Er krallte nach seinen brennenden Augen. Zugleich erfüllte ein gellendes metallisches Lärmen und Kreischen die Luft.
    Zuschauer von den unteren Tribünenreihen verließen ihre Plätze, übersprangen und überkletterten die Sperren und liefen hinaus aufs Spielfeld, überrannten die weißbehelmten Polizisten, die wie Bojen in einer Flutwelle dem Ansturm zu widerstehen suchten, aber einfach umspült wurden.
    Das Geräusch dauerte an.
    Jemand zog an Lauras Knie. Es war Suvendra. Sie kauerte im Fußraum vor dem Sitz auf Knien und Ellbogen und rief ihr etwas Unverständliches zu, winkte ihr dann, in Deckung zu gehen.
    Laura zögerte, sah sich um, und schon war die Menge über ihr.
    Sie ergoß sich wie eine Sturzflut über die Tribüne abwärts. Ellbogen, Knie, Schultern, trampelnde Füße. Eine jähe Springflut menschlicher Körper, und Laura wurde rücklings über die Sitzreihe hinabgerissen. Sie prallte auf etwas, was schwammig nachgab - einen menschlichen Körper.
    Ihr Gesicht schlug auf rauhen Beton, sie lag am Boden und zwei, drei Schuhe trampelten ihr über den Rücken und trieben ihr die Luft aus den Lungen. Ohne Luft, ohne Sicht. Sterbend!
    Sekunden schwarzer Panik. Dann merkte sie, daß sie instinktiv in die Deckung unter der Sitzbank kroch, die unter den Tritten ächzte und sich bog. Menschen strömten über sie hinweg, eine schier endlose, in Panik tobende und trampelnde Masse von Beinen. Ein Fuß in einer Sandale stampfte ihr auf die Finger, und sie zog hastig die Hand zurück.
    Ein kleiner Junge flog, vorwärts gestoßen, über sie hinweg. Seine Schulter prallte gegen die harte Kante einer Sitzreihe, und er blieb liegen: Schatten und Hitze und der Gestank von Angst und Lärm, fallende, krabbelnde Körper…
    Laura biß die Zähne zusammen und schob sich bis zur Mitte aus der Deckung. Ihr ausgestreckter Arm bekam den Jungen zu fassen und zog ihn zu sich unter die Bank. Sie schlang die Arme um ihn und drückte ihn an sich.
    Er preßte sein Gesicht gegen ihre Schulter, krallte sich in seiner Angst so fest an sie, daß es schmerzte. Der Beton der Tribüne zitterte unter ihr, das Stadion erbebte unter der Lawine menschlichen Fleisches.
    Plötzlich verstummte der Höllenlärm aus den Lautsprechern. Laura dröhnten die Ohren. Auf einmal konnte sie den Jungen schluchzen und wimmern hören.
    Das Spielfeld war von der Menge überflutet, die Tribünen ringsum übersät mit verlorenen und weggeworfenen Habseligkeiten: Schuhen, Hüten, tropfenden Getränkepackungen. Unten an der Einzäunung wankten verletzte und benommene Gestalten wie Betrunkene. Manche knieten, schluchzend. Andere lagen ausgestreckt und rührten sich nicht.
    Laura kroch langsam aus der Deckung heraus, zog den Jungen nach und setzte ihn auf ihren Schoß. Er drückte noch immer das Gesicht an ihre Schulter.
    Die Streifen von Bildstörungen zuckten lautlos über die riesige Anzeigetafel. Laura atmete angestrengt und zitternd. Solange es gedauert hatte, war keine Zeit für Überlegungen gewesen, nur eine betäubende, nichtendenwollende Raserei. Der Wahnsinn war wie ein

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