Inseln im Netz
sollten Sie, für die das weltweite Kommunikationsnetz Religionsersatz ist, am besten wissen. Die große Masse, die unaufgeklärte Menge, würde in Panik geraten, angestachelt von Ihren Schreckensmeldungen in den Medien. Jemand würde sich zu überstürztem Handeln hinreißen lassen, und wir würden gezwungen sein, unnötigerweise unsere Abschreckung einzusetzen.«
»Sie meinen, irgendwo eine Atombombe zu zünden.«
»Es würde uns im Falle direkter Bedrohung keine andere Wahl bleiben. Obwohl es kein Verfahren ist, das wir gern anwenden würden.«
»Angenommen, ich glaube Ihnen«, sagte Laura. Der Kaffee tat jetzt seine Wirkung, ermunterte sie und gab ihr Mut. »Wie können Sie dasitzen und mir sagen, daß Sie im Notfall eine Atombombe zünden würden? Sehen Sie nicht, daß das in einem krassen Mißverhältnis zu dem stehen würde, was Sie erreichen wollen?«
Der Inspektor schüttelte langsam den Kopf. »Wissen Sie, wie viele Menschen in den vergangenen zwanzig Jahren in Afrika gestorben sind? Etwas über achtzig Millionen. Eine erschütternde Zahl, nicht wahr: achtzig Millionen. Und das Schlimme daran ist, daß nicht einmal diese Opfer etwas bewirkt haben; die Situation verschlimmert sich weiter. Afrika ist krank, es bedarf eines tiefen Eingriffs. Die Nebenschauplätze Singapur und Grenada, auf denen wir tätig geworden sind, erscheinen im Vergleich zu dem, was hier notwendig ist, wie Public-Relations-Aktionen. Aber ohne ein Abschreckungsmittel würden wir nicht freie Hand haben, zu tun, was erforderlich ist.«
»Sie meinen Völkermord?«
Er schüttelte bekümmert den Kopf, als hätte er dies alles schon zu oft gehört und von ihr Besseres erwartet. »Wir müssen den Afrikaner vor sich selbst schützen. Nur wir können diesen Völkern die Ordnung geben, die sie zum Überleben brauchen. Was hat Wien zu bieten? - Nichts. Die Regierungen der afrikanischen Staaten sind souverän und größtenteils Signatarstaaten der Wiener Konvention. Manchmal mischt Wien sich ein, wenn es um den Sturz einer besonders verabscheuungswürdigen Gewaltherrschaft geht, aber Wien weiß keine längerfristige Lösung. Die Außenwelt hat Afrika abgeschrieben, und Ihr Netz ist daran mitschuldig. Während es sich anderwärts in Humanitätsduselei verliert, ignoriert es, daß in Afrika jedes Jahr Millionen Menschenleben vernichtet werden.«
»Wir schicken noch immer Hilfslieferungen, nicht wahr?«
»Die verschärfen nur das Elend, indem sie die Landflucht fördern und die Korruption nähren.«
Laura rieb sich die Stirn. »Ich verstehe nicht…«
»Sie sollten aber; das Problem existiert seit sechzig Jahren, seit Hilfslieferungen nach Afrika geschickt werden. Unsere Aufgabe ist einfach zu beschreiben. Wir müssen erfolgreich sein, wo Wien versagt hat. Wien hat nichts gegen die terroristischen Machenschaften der Datenpiraten unternommen, nichts zur Rettung Afrikas. Wien ist schwach und gespalten. Aber es ersteht eine neue Weltordnung, die nicht auf obsoleten Nationalregierungen beruht. Sie wird auf modernen, multinational denkenden Gruppen wie Ihrer Rizome und unserer Freien Armee beruhen.«
»Niemand hat Sie gewählt«, sagte Laura. »Sie haben keine rechtmäßige Autorität. Sie sind ein… ein Selbstschutzverband!«
»Sie haben die Funktion des Mitglieds in einem Selbstschutzverband ausgeübt«, erwiderte der Inspektor der Haftanstalten. »Ihre diplomatische Mission war von genau dieser Art. Sie diente der Destabilisierung von Regierungen und der Einmischung in fremde Angelegenheiten zugunsten der Interessen Ihres multinationalen Unternehmens. Wir haben alles gemeinsam, wie Sie sehen.«
»Nein!«
»Wir könnten gar nicht existieren, wenn es nicht Unternehmen wie Ihres gäbe, Mrs. Webster. Sie finanzierten uns. Sie schufen uns. Wir dienen Ihren Erfordernissen.« Er holte Luft und lächelte. »Wir sind Ihr Schwert und Schild.«
Laura sank in den Stuhl zurück. »Warum bin ich in Ihrem Gefängnis, wenn wir auf derselben Seite stehen.«
Er legte die Fingerspitzen zusammen. »Ich sagte Ihnen das bereits, Mrs. Webster - weil Sie ein Sicherheitsrisiko sind! Andererseits sehen wir keinen Grund, warum Sie nicht Ihre Mitarbeiter und Angehörigen verständigen sollten. Sie wissen lassen, daß Sie am Leben und in Sicherheit und bei guter Gesundheit sind. Das würde ihnen viel bedeuten, sicherlich. Sie könnten eine Erklärung abgeben.«
Laura hatte geahnt, daß dies kommen würde. »Was für eine Erklärung?« sagte sie mit tonloser
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