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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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machen.
     
    Sie markierte die Tage ihrer Haft, indem sie mit der Kante ihrer Handschellen Striche in die körnige Wand unter ihrer Pritsche kratzte. An ihrem einundzwanzigsten Gefängnistag wurde sie aus der Zelle geholt, bekam eine weitere Dusche nebst Leibesvisitation und wurde dem Inspektor der Haftanstalten vorgeführt.
    Der Inspektor der Haftanstalten war ein großer, lächelnder, sonnengebräunter Weißer in einer langen seidenen Djellabah, blauen Anzughosen und handgefertigten Ledersandalen. Er empfing sie in einem klimatisierten Büro im Erdgeschoß, wo es Metallstühle und einen geräumigen stählernen Schreibtisch mit einer lackierten Sperrholzplatte gab. An den Wänden hingen goldgerahmte Porträts, Männer in Uniformen: GALTIERI, NORTH, MACARTHUR.
    Eine Wärterin drückte Laura auf einen metallenen Klappstuhl vor dem Schreibtisch. Nach den Wochen drückender Hitze in ihrer Zelle kam ihr die klimatisierte Luft arktisch vor, und sie fröstelte.
    Die Wärterin schloß ihre Handschellen auf. Die Haut darunter war schwielig, das linke Handgelenk hatte eine verschorfte Wunde, aus der Flüssigkeit sickerte.
    »Guten Tag, Mrs. Webster«, sagte der Inspektor.
    »Hallo«, sagte Laura. Ihre Stimme war eingerostet.
    »Trinken Sie eine Tasse Kaffee. Er ist sehr gut. Aus Kenia.« Der Inspektor schob ihr Tasse und Untertasse über den Schreibtisch. »Sie hatten dieses Jahr gute Regenfälle.«
    Laura nickte stumpfsinnig. Sie hob die Tasse und schlürfte vom Kaffee. Seit Wochen hatte sie Gefängniskost gegessen: Scop, und gelegentlich eine Schale Hirsebrei. Und das harte, metallisch schmeckende Wasser getrunken, zwei Liter jeden Tag, leicht gesalzen, um einem Hitzschlag vorzubeugen. Der heiße Kaffee traf ihre Geschmacksnerven mit einer erstaunlichen Fülle, wie belgische Schokolade. Ihr schwindelte.
    »Ich bin der Inspektor der Haftanstalten«, sagte der Mann am Schreibtisch. »Auf meiner planmäßigen dienstlichen Rundreise hier.«
    »Was für ein Gefängnis ist dies?«
    Der Inspektor lächelte. »Dies ist die Strafvollzugsanstalt Moussa Traore, in Bamako.«
    »Welchen Tag haben wir?«
    Er sah auf sein Uhrtelefon. »Es ist Mittwoch, der 6. Dezember 2023.«
    »Wissen meine Leute, daß ich noch am Leben bin?«
    »Ich sehe, Sie kommen gleich zum Kern der Dinge«, sagte der Inspektor. »Nach Lage der Dinge, Mrs. Webster, wissen sie es nicht. Sehen Sie, Sie stellen ein ernstes Sicherheitsrisiko dar. Das verursacht uns einige Kopfschmerzen.«
    »Einige Kopfschmerzen.«
    »Ja… Sehen Sie, infolge der besonderen Umstände, unter denen wir Ihnen das Leben retteten, haben Sie erfahren, daß wir uns in Besitz der Bombe befinden.«
    »Was? Ich verstehe nicht.«
    Er runzelte leicht die Stirn. »Der Bombe, der Atombombe.«
    »Sie halten mich wegen einer Atombombe hier fest?«
    Das Stirnrunzeln verstärkte sich. »Sehen Sie nicht, was das bedeutet? Sie sind an Bord der Thermophylae gewesen. Unseres Schiffes.«
    »Sie meinen das Boot, das U-Boot?«
    Er starrte sie an. »Sollte ich mich deutlicher ausdrücken?«
    »Ich bin etwas verwirrt«, sagte Laura. Sie fühlte sich benommen. »Ich habe drei Wochen Einzelhaft hinter mir.« Sie stellte die Tasse sorgfältig auf den Tisch zurück. Ihre Hand zitterte. »Ich sah ein U-Boot, das ist richtig, aber ich weiß nicht, ob es ein echtes Atom-U-Boot war. Ich weiß das nur von Ihnen und von der Mannschaft an Bord. Je mehr ich darüber nachdenke, desto schwerer fällt es mir, daran zu glauben. Keine der alten Nuklearmächte war dumm genug, ein ganzes U-Boot zu verlieren. Schon gar nicht eins mit Atomraketen an Bord.«
    »Sie scheinen ein rührendes Vertrauen zu Regierungen zu haben«, sagte der Inspektor. »Wenn wir ein Trägersystem haben, spielt es kaum eine Rolle, woher wir die Raketen und Sprengköpfe haben, nicht wahr? Der entscheidende Punkt ist, daß die Wiener Konvention an unsere Abschreckungsmacht glaubt, und unser Arrangement mit ihr erfordert, daß wir über unsere Abschreckungsmacht Stillschweigen bewahren. Aber Sie kennen das Geheimnis.«
    »Ich glaube nicht, daß die Wiener Konvention mit Atomterroristen ein Abkommen schließen würde.«
    »Möglicherweise nicht«, sagte der Inspektor, »aber wir sind die Terroristenabwehr. Wien weiß sehr genau, daß wir ihnen die Arbeit abnehmen. Stellen Sie sich aber die Reaktion der Weltöffentlichkeit vor, wenn die Nachricht hinausginge, daß unsere Republik Mali eine Atommacht ist.«
    »Was für eine Reaktion?«
    »Also«, sagte er, »das

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