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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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waren.
    Endlich stieß die Beschließerin die Tür auf, und sie stießen Laura in die Zelle. Die Tür krachte zu. »He!« rief Laura. »Ich bin gefesselt! Sie haben die Handschellen vergessen!« Das Schiebefenster ging auf, und sie sah ein menschliches Auge und eine Nase. Es wurde wieder geschlossen.
    Sie war in einer Zelle. Im Gefängnis einer Militärdiktatur. In Afrika.
    Sie fragte sich, ob es Schlimmeres geben könne. Ja, dachte sie: Sie könnte krank sein.
    Sie begann sich fiebrig zu fühlen.
    Eine Stunde ist:
    Eine Minute und eine Minute und eine Minute und eine Minute und eine Minute.
    Und eine Minute, und eine Minute, und eine Minute und eine Minute und eine Minute.
    Dann noch eine, und eine weitere Minute, und wieder eine, und noch eine, und noch eine.
    Und eine Minute, dann zwei weitere Minuten. Dann noch zwei Minuten.
    Dann zwei Minuten. Dann zwei Minuten. Dann eine Minute.
    Dann eine ähnliche Minute. Dann noch zwei. Und wieder zwei.
    Das sind bis dahin dreißig Minuten.
    Also fängt man wieder von vorn an.
    Lauras Zelle war etwa vier Schritte lang und drei Schritte breit. Sie hatte ungefähr die Größe des Badezimmers in dem Haus, wo sie einmal gewohnt hatte, dem Haus, an das zu denken sie sich nicht oft gestattete. Ein guter Teil dieses Raumes wurde von der Pritsche eingenommen. Sie hatte vier Beine aus Stahlrohr und einen Stützrahmen aus Kanteisen. Auf dem Rahmen lag eine Matratze aus gestreiftem Baumwolldrill, mit Stroh ausgestopft. Die Matratze roch schwach und nicht ganz unangenehm nach der langen Krankheit einer Fremden. Ein Ende war mit bräunlich verblaßten Blutflecken bespritzt.
    In der Wand der Zelle war ein Fensterloch. Es war eine Öffnung von der Größe eines Toilettenabflusses und durch den meterdicken Sandbeton gebohrt. Am äußeren Ende war es durch ein dünnes Metallgitter verschlossen. Wenn sie sich direkt vor das Loch stellte, konnte Laura einen runden Ausschnitt hitzeflimmernden gelblichen Wüstenhimmels sehen. Manchmal kamen schwache Ausläufer heißer Windstöße durch das Rohr herein.
    Die Zelle hatte keine sanitären Installationen. Aber von anderen Gefangenen lernte sie rasch, was zu tun war. Man schlug gegen die Tür und schrie, vorzugsweise auf französisch oder Bambara, der wichtigsten einheimischen Sprache. Nach einer gewissen Zeit, die von ihrem Gutdünken abhing, kam eine der Wärterinnen und brachte sie zur Latrine: einer Zelle, die den anderen glich, aber ein Loch im Boden hatte.
    An ihrem sechsten Tag hörte sie zum ersten Mal die Schreie. Sie schienen aus dem dicken Boden unter ihren Füßen emporzudringen. Noch nie hatte sie so unmenschliche Schreie gehört, nicht einmal während des Aufstandes in Singapur. Verglichen mit diesem Heulen und Kreischen waren die Schreie der in Panik geratenen Menge eher eine Art Fröhlichkeit gewesen.
    Sie konnte keine Worte ausmachen, stellte jedoch fest, daß es Pausen gab, und bisweilen glaubte sie ein tiefes elektrisches Summen zu vernehmen.
    Zum Essen und für die Latrine wurden ihr die Handschellen abgenommen. Danach wurden sie wieder festgeschlossen, sorgfältig und oben an den Handgelenken, daß sie nicht durch den Kreis ihrer Arme steigen und die Hände vor sich halten konnte. Als ob es einen Unterschied machte, als ob sie mit den Fingernägeln ein Loch in den meterdicken Sandbeton graben oder die Stahltür aus den Angeln reißen könnte.
    Nach einer Woche war in ihren Schultern ein ständiger leichter Dauerschmerz, und sie hatte abgeschürfte Stellen am Kinn und an den Wangen, weil sie nur auf dem Bauch schlafen konnte. Sie beklagte sich jedoch nicht. Im Gefängniskorridor hatte sie flüchtig einen Mitgefangenen gesehen, einen Asiaten, Japaner, wie sie meinte. Er hatte Handschellen und Fußfesseln getragen, dazu eine Augenbinde.
    Im Laufe der zweiten Woche wurden ihr die Handschellen von vorn angelegt. Das war ein erstaunlicher Unterschied. Sie glaubte in absurder Unvernunft, daß sie wirklich etwas erreicht habe, daß ihr von der Gefängnisverwaltung eine geringfügige, aber eindeutige Botschaft zugegangen sei.
    Sicherlich, dachte sie, als sie auf ihrer Pritsche lag, auf den Schlaf wartete, und fühlte, wie ihre Gedankengänge sich allmählich auflösten, sicherlich war es ein Zeichen, vielleicht nur ein Haken auf einer Klemmtafel, aber irgendeine institutionelle Formalität hatte stattgefunden. Sie existierte.
    Am Morgen war sie überzeugt, daß es eigentlich nichts bedeuten könne. Dennoch begann sie Liegestütze zu

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